Neues vom Onkel Franz: oder die Odyssee eines Innviertlers
Wenn Odysseus die Öffis genommen hätte …
Der Onkel Franz, pensionierter 70-plus-Innviertler vom Land muss auf Grund einer Erbschaft mit dem Zug zu einem Rechtsanwalt nach Wien fahren. Diese eigentlich kurze Reise mit zwei Mal Umsteigen gerät in Folge von mehreren vergnüglichen Kalamitäten zu einer wahren Odyssee. Diese verschlägt den guten Onkel sogar abseits der Bahnstrecke und lässt ihn immer wieder neue interessante Leute kennenlernen. Da Onkel Franz zwar sehr open-minded und interessiert an der modernen Welt ist, selbst aber infolge seines Lebensstils eher das Leben von vor 50 Jahren lebt, entspinnen sich sehr kuriose und spannende Dialoge über unseren modernen way of life.
Onkel Franz analysiert und reflektiert quasi wie ein recht neutraler Forscher, der ethnologische Studien betreibt, basierend auf seinen alten Werten und seinem ländlichen Lebensstil unsere Welt. Er verteufelt diese aber nicht grundsätzlich wie viele Menschen der Generation meiner Eltern, sondern stellt fest und versucht vieles in Einklang mit seinen Werten zu bringen, vieles aber auch nicht, weil es eben nicht funktioniert. Daraus entsteht eine wundervolle Satire, die unsere Art zu leben teilweise augenzwinkernd, aber bei den wichtigen Themen (Ernährung, Müll, Globalisierung, …) recht ernst auf die Schippe nimmt. Onkel Franz ist meiner Meinung nach sehr glaubwürdig, denn er ist kein prinzipieller Nörgler, kein Kulturpessimist, der findet, dass früher alles besser war, und dass die Stadt des Teufels ist (Solche Leute gibt es tatsächlich in meiner Umgebung zuhauf). Er legt mit einfachem Hinterfragen die Finger in die Wunden unserer urbanen globalisierten Industriegesellschaft.
„Einer seiner Großneffen der Rachbauer Kevin, war ebenso kaum von seinem Handy wegzukriegen und versuchte, bei jeder sich ihm bietenden Gelegenheit den Onkel zu überzeugen, sich ebenfalls eines dieser Wunderdinge anzuschaffen. Auf Facebook wollte er sich dann mit ihm ‚befreunden‘ und ’seine Inhalte teilen‘. Der Onkel Franz hatte ihm – nachdem er sich alles genau hatte erklären lassen – zu verstehen gegeben, dass er keinen Sinn darin erkennen könne. Dass er es ablehne, im Wirtshaus seine Essigwurst zu fotografieren, um seinen fünfhundert Freunden zur Kenntnis zu bringen, was er gerade esse. Erstens teile er seine Essigwurst mit niemandem, so weit käme es noch, und zweitens habe man im Leben mit sehr viel Glück allerhöchstens zwei wirkliche Freunde. Und wenn der Bub etwas von ihm wolle, solle er gefälligst vorbeikommen, da er ohnehin nur zwei Straßen weiter wohne. Vielleicht würde die Tante einen echten Gugelhupf backen, den könne man dann teilen.“ (Zitat aus Neues vom Onkel Franz)
In Wels läuft er einem jungen Mann nach, der seine Kopfhörer bei ihm im Abteil vergessen hat und verpasst so seinen Zug. In St. Pölten muss er auf die Bahnhofs-Toilette. Da er das WC im Zug während des Bahnhofsaufenthalts ja nicht benutzen darf (bzw. früher nicht durfte – damals gab es ja keine chemischen Toiletten, sondern alles wurde auf die Gleise gekippt), fährt ihm der Zug wieder vor der Nase davon. Sehr vergnüglich wird das alles immer von unserer österreichischen Parademoderatorin der 1970er- und 80er-Jahre Chris Lohner mit ihrer sexy Stimme kommentiert, die seit Jahrzehnten auch alle Bahnhofsdurchsagen in Österreich spricht.
„Regionalexpress 1693 nach Linz fährt soeben von Gleis eins ab. […] Chris Lohner kleidete das Geschehen in Worte.“
In St. Pölten trifft er dann einen sympathischen syrischen Flüchtling mit Asylstatus, der ihn mit dem Paketdienstauto nach Wien mitnehmen will. Leider entpuppt sich der Arbeitsplatz des Syrers als videoüberwacht und der Onkel Franz muss sofort irgendwo in der Pampa aussteigen. Dort trifft er dann einen Politiker mit Chauffeur, die ihn zum Kernkraftwerk Zwentendorf mitnehmen. Bei einer Jause macht er später die Bekanntschaft eines Immobilienhais (eigentlich eines Multifunktionärs, like Gordon Gekko, dessen Firma in Österreich alle anderen Firmen aufkauft), anschließend die eines IT-Spezialisten im Bus, schließt Freundschaft mit einem Biobauern, der früher Finanzmakler war und ausgestiegen ist, hat eine unangenehme Befragung mit einem studentischen Marktforscher und trifft endlich – so schließt sich der Kreis – in Wien auf dem Naschmarkt seinen syrischen Bekannten wieder.
Das Ende ist zwar sehr unwahrscheinlich, aber wundervoll konstruiert. In Wien wickelt er seine Erbschaftsangelegenheit ab, die ihm überraschenderweise 2% dieses Riesen-Firmenkonglomerats beschert, dessen CEO er ja kennengelernt hat und bei dem dieser Politiker auch seine Finger drinnen hat. Auf Grund der Informationen, die er auf der Reise gesammelt und durch die Nutzung der Freundschaften, die er geschlossen hat, schlägt er mit seinen 2%, als Zünglein an der Waage, diesem Riesenkonzern mit globalen Ambitionen ein grandioses Schnippchen.
Ich fand das Buch sowohl sprachlich als auch inhaltlich sehr gut, aber zwei Kleinigkeiten muss ich dennoch negativ kritisieren. Im Prolog bezeichnet der Autor den Onkel Franz als moderne Tante Jolesch. Dieser Vergleich ist gar nicht so abwegig, aber ich finde vermessen, nahezu schon präpotent, dass sich der Autor diese berühmten Schuhe von Friedrich Torberg, die ihm schätzungsweise mindestens eineinhalb Nummern zu groß sind, selbst anzieht. Wenn dies der Verlag aus Werbezwecken tut, ok, wenn der Autor die Tante Jolesch als Vorbild bezeichnet, auch total in Ordnung – aber so … das ist mir schon ein bisschen zu viel Überheblichkeit.
Beim zweiten Punkt geht es um das österreichische Kernkraftwerk Zwentendorf, das vom österreichischen Volk durch eine Volksabstimmung verhindert wurde und nie ans Netz gegangen ist. Im Roman wird es quasi als Bauruine bezeichnet, die man nun vielleicht als Eventlocation verwenden könnte, was dieser Immobilentycoon auch plant. Diese Einschätzung stimmt einfach nicht, da hätte sich der Autor wirklich einmal genauer informieren, das Innviertel verlassen und sich das in der Realität ansehen müssen.
Zwentendorf produziert schon seit Jahren als Musterkraftwerk für nachhaltige Energie 100% Strom aus Solarenergie. Es fungiert weltweit sehr erfolgreich als einziges Trainingszentrum für die Reaktoren gleicher Bauart (Fast alle westeuropäischen Werke sind derart gebaut, und nur dort kann man den Katastrophenfall gefahrlos simulieren). Und es ist der einzige Atomreaktor, den sich Schulklassen in der Realität anschauen können. Ich stand schon ca. zehn Mal auf der Warteliste für eine Führung und habe es noch nie in den Reaktor geschafft, weil der Andrang so groß ist. Die Führungen sind oft innerhalb einer Stunde für das ganze Halbjahr ausgebucht.
Zu guter Letzt war Zwentendorf schon vor Jahren lange Zeit auch eine sehr erfolgreiche Konzert- und Veranstaltungslocation, denn bis 2013 wurde dort mehrmals das Tomorrow-Festival von Global 2000 abgehalten, das leider eingestellt wurde, da es am Gelände durch den Klimawandel immer wieder Überschwemmungen vor allem im Sommer gab. Ich war selbst zweimal am Festival, es war grandios, die Solarpanels richteten sich immer nach der Sonne aus, die Bands waren großartig und sogar die Dancefloors von 2 Uhr bis 6 Uhr in der Früh produzierten durch eine neue Technologie Strom durch die Bewegungen der Tanzwilligen, ständig wurde angezeigt, wieviel Strom grade gewonnen wurde. Somit entspricht nichts, was über Zwentendorf im Roman angedeutet wurde, der Realität und ich finde extrem bedauerlich, dass ein solches Erfolgsprojekt (in der Nach-Atomkraftwerk-Ära) derart verleumdet wird (auch wenn es nur fiktiv ist).
Fazit: Ein ausgezeichnetes Buch für das ich eine klare Leseempfehlung abgeben kann. Ein paar Kritikpunkte gab es aber anzumerken.
Neues vom Onkel Franz
oder die Odyssee eines Innviertlers
Klaus Ranzenberger
Buchdetails:
- Verlag: Verlag Anton Pustet Salzburg
- Erscheinungsdatum: 23. Juli 2018
- ISBN: 9783702509002
- Sprache: Deutsch
- Ausgabe: Fester Einband
- Umfang: 160 Seiten
- gesehen um Euro 22,00 im Buchhandel
Keker Tipp:
Wer noch mehr Zeit mit dem Onkel Franz verbringen will, dem kann geholfen werden. Vor „Neues vom Onkel Franz“ erschien nämlich 2014 der Roman „Der Onkel Franz oder die Typologie des Innviertlers“, ISBN: 978-3-7025-0767-1.
(Beitragbild: Installation zum Buch „Neues von Onkel Franz“, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at)