Für den Herrscher aus Übersee handelt vom ins Leben hinausfliegen.
Was Menschen und Tiere voneinander lernen können.
Und dass man am Ende doch selbst sich in die Luft heben muss.
Es wird aus verschiedenen Positionen erzählt, nachgedacht, auf Postkarten berichtet, erinnert – von den Kinder, den Eltern, den Großeltern, der Fliegerin und der Japanerin.
‘Auf dem eigenen Weg werden selbst die Fragen, die sich stellen, andere als jene, auf die die älteren Generationen Antworten suchen.’, sagt Teresa Präuaer in diesem, ihrem ersten Roman.
Wissen, wenn man es ihnen zutraut, die Kinder nicht alles schon von Anfang an?
Und sprechen Kinder, wenn man ihnen auch beim Denken zuhört, nicht genau so, wie bei Präauer das kleine Geschwisterpaar?
Neben der Welt der Kinder ist jene der Fliegerin.
Sie tritt mit einem Schwarm Vögel die Unternehmung ihres Lebens an. Als Mutterersatz hat sie diese aufgezogen und geduldig zur Flugfähigkeit gebracht. Jetzt will sie ihnen in ihrem einfachen Fluggerät ins Winterquartier voran fliegen. Die Fliegerin fliegt die Tieren neben sich über das Land, über das Leben, das dort die Menschen führen. Nach jeder Etappe anderswo ist sie ein mit Freude erwarteter Gast. Doch schon am nächsten Morgen nimmt sie die Flugroute wieder auf.
Wir sehen die Landschaft, über die die Fliegerin fliegt, ihre Formen und Farben.
Wie auch die Landschaft des jungen Großvaters, der einer notgelandeten Japanerin seine Heimat in den schönsten Farben beschreibt. Egal, ob man schon die Erde von oben gesehen hat, Präauer
gelingt es, uns mit bildreicher Sprache die Vogelperspektive nahe zu bringen: ‘Über einem von schwarzen Spuren durchzogenen Feld sitzt ein riesenhaft heller Fleck, der alles Darunterliegende überdeckt.’ Sie ist nicht nur Sprachkünstlerin sondern auch Bildende Künstlerin.
Gut, dass die berühmten Kollegen (für Wolf Haas hat sie schon illustriert) die von ihnen ungeliebten Landschaftsbeschreibungen Präauer überlassen. Bei Ihr SIEHT man, dass diese ganz und gar nicht überflüssig sind.
Alles dreht sich ums Fliegen, doch ohne technische Sprache ‘aus der Welt von Metallen und Motoren’, Teresa Präauer vermittelt uns auch keine naturkundlichen Fakten über ‘ihre’ Vögel.
Die Vorgänge und Gedanken werden mit poetischen und dabei knappen Worten beschrieben:
‘und dass mir, wenn sie spricht, ist, als wüchsen der Reihe nach Blüten aus ihrem Mund und fielen zu Boden, ja, dass sie wirklich fallen, und ich mich bücke und sie aufhebe und einen Strauß daraus binde.’
Blumen sind dann unerwarteter Weise auch irgendwie mit schuld, dass der jungen Großvater hart aufprallt aus diesem Gefühlshoch.
So dichtet der Großvater erst an seinem Leben mit der schönen Japanerin, von dem diese nichts weiß. Sie sprechen miteinander nur mit ihren Körpern, und seine Wünsche liest er in ihren Augen.
Die Sprache selbst ist Thema dieses Buches, deren Aneignung und Verstehen. Sie für sich geschmeidig zu machen um mit ihr ‘flugtauglich’ zu sein. ‘Das V ist leicht zu schreiben und baut den Weg zum W. Umgedreht ergibt das V fast ein A, und mit A beginnt aller Anfang. Und mit A beginnen auch die Augen.’
Ein gefährlicherer Unterricht sind Großvaterflugstunden, bei denen man ganz sicher anderes lernt als das Fliegen. Aus heutiger (pädagogischer) Perspektive kann es einem schon die Federn aufstellen, trotzdem muss das gut gehen, genau so. Schließlich kommt mit dem Flug ein Perspektivenwechsel.
Mit widersprüchlichen Aussagen und Anweisungen kommen die Kinder erstaunlich leicht zurecht, weil sie alles, nicht nur das Fliegen – den ganzen Tag mit sich und diesen beschäftigt – von den Vögel lernen?
Beim Lesen sehe ich die Gebrüder Lilienthal in alten schwarz/weiss Aufnahmen vor mir, mit ihren selbst gebauten Flügeln, immer eher abwärts stürzend. Und Bilder von ‘Vogel-Menschen’ mit angeklebten Federn, auch solche mit Ziervögeln.
Jeder nimmt sein und das Projekt der anderen ernst, auch das Kinderspiel. Gerade aus so ernsthaftem Spiel wird ja das Leben. Der alte Großvater nimmt es am meisten ernst, so sehr, dass er über das Ziel hinausschießt. Wie ihm als jungem Mann vor lauter Liebe das Ziel aus den Augen geriet.
Es ist ein schwieriges Eingeständnis, dass man immer höher fliegen will als die anderen, auch wenn man sie liebt. Man kann den erfolgreichen Flug dem Bruder, dem Enkel nicht gönnen und es gönnen ihn viele der Fliegerin (Schreiberin?) nicht, auch wenn sie es ihr wünschen.
Einfacher ist das Abstürzen, wenn man zu zweit ist. Wie die Geschwister, als das mit Eifer gezeichnete und gebastelte Bild bei den Großeltern nicht die erwartete Freude auslösen kann.
Doch immer wird aller Zwietracht überwunden und man sitzt wieder gemeinsam am Tisch, bei Butterbrot, Saft aus dem kühlen Keller und Wein, und spricht miteinander, übers Wetter und übers Fliegen.
Ihre Figuren lässt die Schreiberin gerne umstandslos handeln. Und sie erzählt auch von Turbulenzen unaufgeregt. Sie enthält sich einer Wertung. Wie sie auch die Kinder sich dem Großvater gegenüber einer Wertung enthalten lässt. ‘Hätte man sich mal besser in die Weltgeschichte eingemischt,’ sagt der alte Großvater, ‘hätte man wenigstens schießen gelernt.’
Schon ein ‘schräger Vogel’. Aber trotzdem möchte man solche Menschen gerne öfter treffen.
Keiner hat in dieser Geschichte einen Namen, auch die Vögel hat die Fliegerin nach ihren Merkmalen benannt (wie Präauer ihre Vogelzeichnungen in ‚Taubenbriefe’). Es wird manches nicht in der üblichen Weise ausgesprochen oder benannt, damit zeigt sich vieles um so klarer.
Diese Figuren spüren das Leben – und wir spüren es.
Auch fallen Schüsse und fliegende Teller, aber der Rettungsbootfahrer wird nicht gebraucht werden, und der Metereologe nur für die schönen Nachrichten, wie der Kameramann …
Obwohl man bei den aufschneiderischen Geschichten des Großvaters seine Zweifel hat, der Herrscher aus Übersee kennt ihn wirklich, wie man am Ende von 140 Seiten aufgrund der ‚Brombeermarmeladefleckenbotschaft‘ ahnen kann. Doch für ein Bild von ihm darf man ganz die eigene Fantasie in Anspruch nehmen.
Ich habe ‘Für den Herrscher aus Übersee’ dann gleich zwei Mal gelesen, und kann die Weisheit der Eltern gegen Ende des Buches, dass alles beim zweiten Mal nur halb so schön, groß und wesentlich ist, ganz und gar nicht bestätigen!
Teresa Präauer wird weiter fliegen im Wind, mit der Frisur und auch sonst der schönen, tapferen Japanerin gleichend. Mit einer Literatur wie ein leichtes Blatt, dabei gerne gegen den Strom fliegend. Und uns (hoffentlich) noch vieles Erzählen aus dieser Position mit klarem Blick.
Für den Herrscher aus Übersee
Teresa Präauer
2012, 140 Seiten, 1. Auflage, gebundene Ausgabe, Wallstein Verlag, Göttingen
ISBN: 978-3-8353-1092-6
In Österreich zu haben um Euro 17,40.
Teresa Präauer ist die Gewinnerin des – aspekte Literaturpreises – ZDF.
Alte Schmiede
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Die Lesung findet heute um 19.00 Uhr bei freiem Eintritt statt.