Ich mag verlassene Orte, die ihre Geschichten preisgeben, wenn man lange genug innehält.
Die Fotografin Yvonne Oswald offensichtlich auch.
Das Jüdische Museum Wien zeigt seit 10. September 2014 Das Südbahnhotel. Am Zauberberg der Abwesenheit. Fotografien von Yvonne Oswald am Standort Judenplatz.
Es hat ein halbes Jahr gedauert bis der jetzige Eigentümer Rudolf Presl die Erlaubnis zur Arbeit im 1882 gegründeten Hotel am Semmering gab.
Yvonne Oswald war der einzige Mensch, dem der Zugang zum seit Jahrzehnten leer stehenden Palasthotel gewährt wurde. Sie hat den Eigentümer persönlich nie kennengelernt, alles lief über dessen Sekretärin. Das Objekt ist rund um die Uhr bewacht und steht unter Denkmalschutz.
Fünf Jahre und unzählige Besuche später, bei jeder Witterung und so großer Kälte, dass die Kameras streikten, gibt es einen interessanten Kurzfilm, viele großformatige Fotografien, einen prachtvollen Bildband aus dem Metroverlag und eine sehr sehenswerte Ausstellung im Museum am Judenplatz.
„Ich wollte den Spuren des Fin de Siècle nachspüren. Es geht um das Nachverfolgen einer äußerst kreativen Zeit!“, sagt Oswald.
Man kann sich den Semmering damals wie ein Kitzbühel der Jahrhundertwende vorstellen, mit mehr Intellekt und weniger Alkoholleichen zwar, aber trotzdem eine Art riesiges „All Inclusive Ressort“ (Danielle Spera) der besseren Wiener Gesellschaft.
Das Südbahnhotel bot im Laufe seiner Geschichte bis 1938 neben 356 komfortabel und individuell ausgestatteten Zimmern auch:
eine Bibliothek, ein Lichtspieltheater, das Restaurant (der Pächter war Vinzenz Panhans), den Ballsaal genannt „Waldhofsaal“, das Bierstüberl, mehrere Salons (einen davon nur für Damen), später ein Hallenbad im Stil der neue Sachlichkeit genannt „Alpinbad“, ein Liegewiese mit Duschen, eine eigene Tankstelle, Garage, mehrere Automobile, bequeme Chauffeurzimmer, natürlich auch noch Pferdestallungen, eine Telegraphenanlage, mehrere Terrassen, eine imposante Auffahrt, einen Park, die Naturrodelbahn, die Skeletonbahn, eine Sprungschanze und Möglichkeiten zum Schilauf, …
Wen man dort traf im Lauf der Zeit in der Sommerfrische?
Zum Ball, zum Philosophieren und später dann zum Fünfuhrtee: Arthur Schnitzler, Peter Altenberg, Alfred Polgar, Gustav Mahler, Alma Mahler-Werfel, Franz Werfel, Stefan Zweig, Hugo von Hofmannsthal, Sigmund Freud, Ludwig Wittgenstein, Adolf Loos, Hermann Bahr, Karl Kraus, Felix Salten, Robert Musil, … für die Zeitreise zurück würde ich einiges geben!
Nachdem die Nationalsozialisten die Gäste des Hotels entweder ermordet oder vertrieben hatten, konnte der Ort sich nie mehr zu seinem alten Glanz aufschwingen. Jüdische Überlebende bescherten dem zur Jahrhundertwende größten Palasthotel Europas in den 1960er Jahren ein kleines Revival, aber Italien wurde alsbald die beliebtere Destination.
1976 erfolgte die endgültige Schließung.
Das Haus ging durch viele Hände, manche davon trugen Bilder, Luster und anders Mobiliar davon.
„Es herrscht eine große Stille auf dem Berg.“ fängt Yvonne Oswald die derzeitige Situation des Südbahnhotels ein. Und mit einer Mischung aus Zorn und Wehmut fügt sie hinzu: „Jeder kennt es, jeder weiß etwas darüber, aber keiner macht etwas!“
Es steht übrigens zum Verkauf. Für einen kleinen zweistelligen Millionenbetrag ist man dabei.
Fazit: eine berührende Ausstellung mit sehr schönen Arbeiten, die Geschichte atmen.
Man sollte die beiden zwischen Garderobe und Toilette etwas unglücklich platzierten Filme nicht übersehen, einer historisch, einer aus dem Heute.
Und sich dann auch noch die Zeit nehmen, zu den Ausgrabungen der Dauerausstellung hinunterzusteigen.
„Schauen Sie sich das an!“ (Karl Farkas)
Das Südbahnhotel. Am Zauberberg der Abwesenheit. Fotografien von Yvonne Oswald.
Museum Judenplatz
Judenplatz 8, 1010 Wien
Tel.: 01 / 535 04 24
E-mail: info@jmw.at
web: www.jmw.at
Öffnungszeiten: So bis Do 10.00 – 18.00 Uhr, Fr 10.00 – 14.00 Uhr
Eintritt (gültig für beide Mussen bis 4 Tage nach dem Ausstellungsdatum): regulär Euro 10,00; zahlreiche Ermäßigungen; Kinder bis 18 Jahre frei
Dauer der Ausstellung: bis 11. Jänner 2015
Katalog: Euro 24,90
Die Hardcover-Ausgabe erschien im Metroverlag und ist um Euro 39,90 eine lohnende Investition; ISBN 978-3-99300-195-7.
Yvonne Oswald
stammt aus Salzburg, lebt und arbeitet in Wien.
Die ausgestellten Fotografien sind Ausbelichtungen auf c-print Kodak Endura matt, jeweils Edition 5+2, 40x60cm, 70x100cm, 100x135cm und können bei der Künstlerin direkt erworben werden.
Kontakt: www.yvonneoswald.at