Schönbrunner Finale

Schönbrunner-Finale_Bild_c_ Alexandra_Wögerbauer_Flicker_kekinwien

Schönbrunner Finale

Zusammenbruch, Umsturz, Hunger, Mord und Totschlag

Der historische k.u.k. Krimi ‚Schönbrunner Finale‘ von Gerhard Loibelsberger spielt wie alle anderen Romane dieser Reihe (Band 1 habe ich unlängst hier im Blog besprochen) im Wien der Vergangenheit, diesmal aber nicht um die Jahrhundertwende, sondern 1918, im letzten Jahr des ersten Weltkrieges und punktgenau zum Zusammenbruch der Österreichisch-Ungarischen Donaumonarchie. Erneut webt der Autor gekonnt aus historischen Tatsachen und einer Krimi-Handlung im Nebenstrang ein dichtes, lückenloses Netz aus geschichtlichen Fakten und perfekter Fiktion, in dem die Grenzen verschwimmen …

Die Protagonisten, den Kennern der Reihe bereits geläufig, sind wesentlich gealtert, haben sich aber durch die Kriegsumstände derart verändert, dass es sowohl für die Profis spannend bleibt, als auch ein Neuling sehr gut den quasi runderneuerten Charakteren folgen kann.

Polizeioberinspector (ja, er wurde befördert) Joseph Maria Nechyba ist nun mit seiner alten Liebe der Köchin Amalia bereits seit Jahren verheiratet, die aus finanziellen und versorgungstechnischen Gründen noch immer für den Hofrat Schmerda aus dem Innenministerium die Küche führt. Der ehemalige Journalist Goldblatt hat die freie Presse verlassen und verfasst als Leutnant Jubelpropaganda, um das Volk vom drohenden Kriegsverlust abzulenken, obwohl die Spatzen die bevorstehende Kapitulation schon von den Dächern pfeifen.

Die im ersten Band so fröhliche Stimmung und der sprichwörtliche derbe Wiener Schmäh sind reinem Zynismus, Frustration, Verzweiflung, Hunger und grotesken Lebensmittelbeschaffungsaktionen gewichen, in denen auch Amtsmissbrauch, Korruption und kleinere nicht nur disziplinarrechtliche,  sondern auch strafrechtliche Delikte seitens der offiziellen Beamten des Staates an der Tagesordnung stehen. Im Prinzip ist auch die öffentliche Ordnung in Auflösung begriffen. Diese Stimmung ist zwar für den Leser nicht angenehm zu ertragen, beschreibt aber die historische Situation der Donaumonarchie kurz vor dem Zusammenbruch sehr treffend und punktgenau.

Die Figuren des Romans, die ja gourmethafte – was sage ich: gourmandhafte – Züge aufweisen, versuchen im hungernden Wien der letzten Kriegstage verzweifelt und gleichzeitig sehr fintenreich, ein bisschen korrupt und erfolgreich etwas wirklich Gutes zum Essen aufzutreiben, also zum Beispiel einen Lungenbraten, eine halbe Sau, Speck … . Das geht sogar so weit, dass Hofrat Schmerda in der Wiener Stadtwohnung Hühner züchtet, nur um eine Eierspeise zu bekommen. Das Zimmer des toten Sohnes wird ausgeräumt und mit Erde und Stroh für die Hennen bedeckt. Außerdem träumt er von einer Sau im Zimmer seiner Frau. Als er sie wegen des Viehs ausquartieren will, bekommt diese einen Tobsuchtsanfall inklusive anschließendem Nervenzusammenbruch. Wie Ihr seht, dreht sich sehr viel der Geschichte wieder um das Thema Essen, diesmal aber aus einer Mangelsituation heraus.

Andere Figuren sind noch viel zynischer gezeichnet. Aus relativ nichtigen Anlässen werden ganz normale Menschen wie Du und ich durch das Kriegsgeschehen und die Versorgungssituation in Wien zu Schwerverbrechern, denen ein anderes Leben auf Grund von Kleinigkeiten wie einem Stück Zwieback, ein bisschen Geld oder einem Verrat an die Polizei gar nichts mehr wert ist. Diese Gelegenheitstäter haben nicht einmal ein Fünkchen von schlechtem Gewissen, wenn Sie jemanden abmurksen, um einen Vorteil zu erlangen. In der gewalttätigen Grundstimmung der Geschichte passieren viele Tötungsdelikte. Oberinspector Nechyba und seine Beamten haben alle Hände voll zu tun, alle aufzuklären, wobei ihm das erste Verbrechen, der Totschlag am „Planetenverkäufer“ (Wahrsager) Stani Kopfzerbrechen und schlaflose Nächte beschert.

In die Krimihandlung, die diesmal wieder so nebenher konzipiert ist, aber am Ende eine Überraschung bereithält, sind erneut historische Originaldokumente eingebaut, wie zum Beispiel ein Ultimatum von Präsident Wilson oder die aktuellen Zeitungsmeldungen, die sich auf Grund der Entwicklungen im Herbst 1918 tagtäglich überschlagen. Auch die in die Handlung eingeflochtenen historischen Persönlichkeiten sind Legion – viereinhalb Seiten Personenregister, schlussendlich ist Nechyba sogar als abgestellter Leibwächter des letzten Kaisers von Österreich Karl I. bei dessen Abdankung anwesend. Am Ende des Romans der zynischen Grundstimmung und historischen Tatsachen geschuldet rafft auch noch die spanische Grippe sehr tragisch das halbe Personal der Geschichte hinweg, beginnend mit Egon Schiele und seiner Frau Edith, die das Virus als Freunde in die kleine Gesellschaft der Protagonisten hineintragen.

Fazit: Ein sehr guter historischer Krimi. Die Fröhlichkeit und Lebensfreude des ersten Romans geht mir zwar sehr ab, aber 1918 war eben gar nichts fröhlich in Wien. Insofern ein genaues, sehr gut beschriebenes authentisches Sittenbild der letzten Kriegstage in der Hauptstadt der untergehenden Donaumonarchie, das auf Umsturz, Mord und Totschlag natürlich nicht verzichten kann.

 

Schönbrunner Finale, Collage zu den Krimis um die Naschmarktmorde, Roman von Gerhard Loibelsberger, Bild (c) Alexandra Wögernauer-Flicker - kekinwien.at

Schönbrunner Finale, Collage zu den Krimis um die Naschmarktmorde, Roman von Gerhard Loibelsberger, Bild (c) Alexandra Wögernauer-Flicker – kekinwien.at

 

Gerhard Loibelsberger, Schönbrunner Finale

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 11. April 2018
  • Verlag: Gmeiner Verlag
  • ISBN:978-3-8392-2210-2
  • Klappenbroschur: 365 Seiten
  • Taschenbuch gesehen um Euro 15,50

 

Dein Kommentar

keke Spam-Abwehr: *