Die Naschmarkt-Morde

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Kaiser, Krenfleisch und Wiener Würger

Der Erstlingsroman Die Naschmarkt-Morde von Gerhard Loibelsberger wurde 2017 in einer sehr schön gestalteten Jugendstil-Sonderausgabe neu aufgelegt, und ich habe natürlich sehr erfreut zugegriffen. Diese historische Regionalkrimireihe spielt im Wien um die Jahrhundertwende und präsentiert neben viel Lokalkolorit auch noch ein wundervolles Abbild der Zeit des Fin de Siècle

Ich persönlich wurde auf den Autor aufmerksam, als ich letztes Jahr eine Graphic Novel basierend auf dieser Reihe in kekinwien rezensierte, die mir ausnehmend gut gefallen hat. Nun wollte ich natürlich auch noch die gesamte, doch etwas tiefer gehende Hintergrundgeschichte erforschen und erleben.

Josef Maria Nechyba, ein K&K Polizeiinspector – in seiner Freizeit ein Gourmet vor dem Herrn – kann, sehr ungewöhnlich für die Zeit, in der der Roman spielt, auch noch recht ordentlich kochen. Er wird mit einer „schenen unbekannten Leich“ konfrontiert, von der sich nach einigen Ermittlungen herausstellt, dass es sich um eine Adelige respektive um eine Frau Baronin handelt, die sich nächtens in der Strizzi-Welt des Naschmarktes (damals der historische Wiener Lebensmittelmarkt am Tage und ein Sündenpfuhl von Prostituierten und Kleinganoven bei Nacht) auf Grund eines „schlamperten Verhältnisses“ herumgetrieben hat.

Wundervoll beschreibt Loibelsberger das historische Biotop der Gegend um den Naschmarkt. Die hochherrschaftlichen, reichen  Adels- und  Staatsbeamten-Haushalte mit ihren Bediensteten an der linken Wienzeile und der Bodensatz der Gesellschaft in der Mitte auf dem Naschmarkt und auf der rechten Wienzeile. Weiters werden ziemlich grandios mehrere wichtige Hotspots, wie Kaffeehäuser in anderen Bezirken, Heurigenlokale, Ausflugsziele und viele andere Lokalitäten der Stadt Wien und ihrer Umgebung sehr genau – fast schon plastisch – geschildert, sodass der Leser einen recht genauen Einblick ins Wien um die Jahrhundertwende bekommt.

Wie Ihr seht, habe ich bereits im zweiten Absatz meiner Rezension mehrere (alt)-österreichische Spezialausdrücke verwendet, die aus dem Tschechischen, Jiddischen etc. entstammen. Dies ist auch dem Roman geschuldet, denn der geneigte deutschsprachige Leser muss sich auf eine andere Welt und eine andere Sprache einstellen, was der Autor aber ziemlich praktisch und großartig unterstützt, da auf jeder Seite in den Fußnoten die historischen österreichischen Wörter, Speisen etc. genau und hinreichend erklärt werden. Dabei habe sogar ich noch einiges gelernt, denn die Speisen zu dieser Zeit, die in den hochherrschaftlichen Haushalten tagtäglich kreiert wurden, unterscheiden sich doch sehr von der modernen österreichischen Küche. Die Sprache – insbesondere der Wiener Dialekt – hat sich zumindest für meine Generation in den letzten 110 Jahren noch nicht wesentlich geändert.

Das restliche „Personal“ abseits des Herrn Inspectors wurde in diesem Krimi derart liebevoll konzipiert, dass es eine reine Freude ist. Spannend war für mich die Figur des Pospischil, des Assistenten von Nechyba, der das krasse Gegenteil des vor Kraft strotzenden, etwas fülligen Polizeikommissars darstellt. Rachitisch, mit teigiger Gesichtsfarbe, duckmäuserisch nach oben und nach unten tretend bzw. zu Gewaltausbrüchen gegen Verdächtige neigend, poliert er einerseits im Polizeidienst sein Ego auf und versucht andererseits durch Anbiederung an Vorgesetzte und höher gestellte Persönlichkeiten seine Karriere nicht zu verderben.

Auch die Köchin Aurelia, in die sich Nechyba ein bisschen verliebt hat, ist sehr gut gezeichnet. Zudem bereitet sie tagtäglich für die Familie des Herrn Hofrat ein köstliches Essen zu, das derart detailliert beschrieben wird, dass dem Leser das Wasser im Mund zusammenläuft. Ich empfehle, das Buch keinesfalls hungrig zu lesen, denn die Koch- und Essorgien sind mit leerem Magen kaum zu ertragen.

Zudem existieren auch noch die typischen ebenso reichen wie nutzlosen Lebemann-Charaktere im Stile des Joseph Roth, wie zum Beispiel der spielsüchtige Baron, der in der ganzen Stadt Schulden gemacht hat, der wegen seiner Ehre schon überlegt, sich zu entleiben und dann dennoch zu seiner Mutter betteln geht, damit diese seine Ehrenschuld begleicht.

Einer der größten Pluspunkte des Krimis ist der Umstand, dass auch historische Persönlichkeiten konsistent in die Handlung eingebaut auftreten. Da gibt es zum Beispiel einen köstlichen Dialog zwischen Gustav Klimt himself und Baron Schönthal-Schrattenbach, in dem sich der Künstler aufpudelt, dass die feinen Leut‘ immer über seine Bilder reden wollen, anstatt die Augen aufzumachen und sie einfach anzuschauen. Auch Otto Weininger und ein paar andere Persönlichkeiten werden glaubwürdig mit ihrer Biografie in den Plot integriert.

So könnte ich ewig weiter die Figurenentwicklung loben, aber ich möchte nun nicht mehr weiterspoilern.Auf jeden Fall wird dem Leser ein genaues Bild der Bevölkerung sowohl aus der Unterschicht als auch von den oberen Zehntausend und auch von vielen irgendwo dazwischen, wie dem angestellten Hauspersonal, gegeben.

Sprachlich ist der Krimi wundervoll und der etwas bodenständigere, derbe Wiener-Schmäh blitzt auch aus allen Kapiteln reichlich hervor. Ich habe mich köstlichst amüsiert. Die Szene mit dem Hund Seppi oder die Beschreibung des Katers (im Sinne von Hangover) vom Redakteur Goldblatt inklusive der morgendlichen Körperfunktionen, die in einem solchen Zustand zu tragen kommen, haben mich vor Lachen fast vom Sessel gerissen.

„Eine Frauenstimme keifte: „Seppi! Hierher! Sapperlot! Seppi, du Rabenvieh, wirst herkommen? Seppi, hier! Wenn du jetzt nicht sofort parierst, kommst du ins Gulasch!“
Diese Drohung machte Eindruck, denn knurrend und fletschend trollte sich der Seppi zurück in den Hof, aus dem er wie ein Deus ex Machina hervorgeschossen war.
Nechyba versuchte, sich den Geschmack eines Hundegulaschs vorzustellen. Dabei kam ihm der pelzig ranzige Geruch, der den meisten Hunden im Sommer eigen ist, in den Sinn. Ob sich diese Ausdünstungen mit dem würzig-süßen Paprika-Zwiebel-Aroma eines ordentlichen Gulaschs vertragen würden? Ein Gedanke, bei dem der Inspector erschauerte

Bei all der wundervollen Übererfüllung von erzähltechnischen Anforderungen ist der Kriminalfall letztendlich zwar ordentlich ausgeführt, aber dient irgendwie nur als Nebenhandlung zur Beschreibung des historischen Wiens. Das fand ich dann schon ein bisschen schade, denn für mich war der Täter recht schnell erkennbar.

Fazit: Ich serviere Euch mit dem Roman Die Naschmarkt-Morde ein echtes Wiener-Schmankerl mit wärmster Leseempfehlung von mir – ein wundervolles Sittenbild von Wien um die Jahrhundertwende quer durch alle Schichten inklusive kulinarischer Reise und mit ein bisschen Mord und Totschlag garniert.

 

Cover der Sonderedition, Die Naschmarkt-Morde, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker_ kekinwien.at

Cover der Sonderedition, Die Naschmarkt-Morde, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker_ kekinwien.at

 

Die Naschmarkt-Morde. Gerhard Loibelsberger

Buchdetails

  • Aktuelle Ausgabe: 2. August 2017
  • Verlag: Gmeiner Verlag
  • ISBN: 978-3-8392-2181-5
  • flexibler Einband: 278 Seiten
  • beim Verlag selbst für Euro 12,00 bestellbar
  • gesehen als Hörbuch um Euro 14,00

(Beitragsbild: Buchcover des Romans „Die Naschmarkt-Morde“ von Gerhard Loibelsberger plus Zutaten für erstens die Suppe und zweitens einen Steirischen Rindfleischsalat mit Kernöl und Bohnen, Collage, Kritik und Küche (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker für kekinwien.at)

 

 

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