Schiff oder Schornstein

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Schiff oder Schornstein

Tierliebe, Nachhaltigkeit und Nutztierdachhasen*

Die Autorin Andrea Stift-Laube hat ihren Roman ‚Schiff oder Schornstein‘ in ein ethisch-philosophisch sehr interessantes Setting eingebaut: Tierliebe und Tierschutz, Veganismus, nachhaltige und ressourcensparende Lebensweise, Aussteigerleben in der Kommune, ökologisches Engagement bei Greenpeace, ökologische Gesamtbetrachtung von allen Komponenten,Tierschutz im Konflikt mit Artenschutz …

All diese Themen und Positionen, die vor allem von Menschen, denen der Planet nicht egal ist, durchaus sehr kontrovers diskutiert und verbissen gegeneinander verfochten werden, werden sehr konsistent und glaubwürdig in den Plot und in die sich nach und nach entwickelnden Meinungen der Protagonisten eingewoben.

Geschwisterliebe, Kommune und Rebellion gegen das System

Basierend auf der Geschichte zweier Schwestern, von denen eine plötzlich nach einem Greenpeace Einsatz spurlos verschwunden ist, wird die Vergangenheit der Familie, die Kindheit der beiden Mädchen und die Entwicklung zum gegenwärtigen Weltbild und der nachhaltigen Lebensweise Schritt für Schritt verständlich aufgerollt.

Das beginnt in der Kindheit bei der ersten Verweigerung von tierischen Lebensmitteln respektive Schnecken und endet beim derzeitig ökologisch geprägten Lebensstil. Dabei haben die Schwestern mit ähnlichen Prinzipien im Detail auf Grund ihres unterschiedlichen Charakters und ihrer differierenden Lebenssituationen – eine der beiden Schwestern ist nicht bei den Eltern, sondern bei der Großmutter aufgewachsen – durchaus unterschiedliche Positionen zu den Themen Nachhaltigkeit und Öko-Kampf.
Ila, die von der Oma geprägt wurde, denkt sehr ganzheitlich und pragmatisch, grenzt sich aber auch persönlich vom missionarischen Eifer ihrer Schwester ab und ist nicht so risikofreudig und geduldig mit Menschen wie Franziska, die ja nun spurlos verschwunden ist.
Mit ins Spiel kommt dann auch noch Konstantin – Kommunenpartner von Franziska und in diese hoffnungslos verliebt -, der eigentlich mit seiner ökologischen Einstellung nur ein bisschen gegen den konventionellen Fleischverarbeitungsbetrieb seiner Eltern oder vielleicht sogar nur gegen seine Eltern rebelliert.

Der Sündenfall Felifell

Auf der Suche nach und in Erinnerung an die verschwundene Franziska nähern sich Konstantin und Ila an und beginnen gemeinsame Ideen umzusetzen. Die nachhaltigen Tierschützer und Öko-Faserschmeichler entwickeln sich zu beinharten Artenschützern und gründen den Katzenfleischversand Felifell.

Was eigentlich als fiktives Kunstprojekt beginnt, um einen inszenierten Skandal zu verursachen und die Tierschützer zur Diskussion über Artenschutz anregen und alle anderen gedankenlosen Menschen ihre Scheinheiligkeit vor Augen führen soll, wird zumindest als Konstrukt, Marke und im Rahmen eines Webauftritts Realität. Da die Katzenpopulation im ganzen Land unbeherrschbar wächst und alle mittlerweile stark bedrohten Tierarten wie Singvögel, Maulwürfe und Insekten meuchelt, sollen Katzen nun anstatt von Schweinen als Nutztiere, also Fleischlieferanten herhalten.

Diese Idee hat im Sinne von Artenschutz etwas zwingend Logisches und hält zudem den doch zu Haustieren sehr affinen Personen, die sich gar nicht für Ökologie interessieren, einen Spiegel vor, um sie zum Nachdenken zu bringen, wie sie mit Schweinen, Hühnern und anderen Nutztieren umgehen. Selbstverständlich sollen die hypothetischen Nutztierkatzen biologisch und artgerecht gehalten werden und mit sechs Monaten, bevor das Fleisch zäh wird und die Tiere ihren Jagdtrieb voll ausleben, geschlachtet werden.

„… denn nur mit einem Angriff auf den liebsten Begleiter des Österreichers, Hund oder Katz, sei es möglich, einen Diskurs über ethische Bedenken bezüglich des Verzehrs von Nutztierfleisch loszutreten, ja über den Konsum tierischer Ressourcen überhaupt. Der Name sei eine Verhöhnung der haustierliebenden Bevölkerung. Und dann erst die angebotenen Produkte: Felifell Falafel, gefrorene Fleischbällchen im Zehnerpack. Feligulasch im Recycling-Glas. Felifischerl im Stück.“

Neben dem Skandal und den einhergehenden Morddrohungen wird die Story um das fiktive Kunstprojekt noch um einen Tick kurioser, denn unvermittelt tauchen die Chinesen auf, versuchen Ila und Konstantin zu korrumpieren und bieten den beiden für ihre Geschäftsidee, die Marke, den Namen und die Website einen Batzen Geld. Die nachhaltige öko-zertifizierte Katzenfleischzucht soll Realität werden.
Auf diesem Weg lässt sich der Fleischersohn verführen, korrumpieren, er hintergeht Ila und verkauft das Konzept tatsächlich hinterrücks an die Chinesen. Die Katzenfleischfabrik Felifell wird grausame Wirklichkeit.

Ein endloser Schrecken

Solche schrägen Geschichten und unerwartete Wendungen zum Nachdenken liebe ich übrigens sehr.
Leider ist das Ende wieder einmal sehr missglückt. In der Kernstory, also in der Angelegenheit der verschwundenen Franziska, tut sich gar nichts. Weder wird bis zur letzten Seite eine Leiche gefunden, noch taucht sie nach Jahren lebend wieder auf. So etwas ist für mich als Leserin genauso unbefriedigend wie für echte Betroffene, die auch wissen wollen, was nun wirklich passiert ist, um mit der Geschichte abschließen zu können.

Angehörigen von Abgängigen ist es sogar lieber, wenn eine Leiche gefunden wird. Sie wollen so einen unendlichen Schwebezustand schon in der Realität nicht akzeptieren, geschweige denn in einer erfundenen Geschichte ist das ein adäquater Abschluss oder gutes Schreibhandwerk.
Manchmal frage ich mich, ob des grassierenden inflationären Einsatzes des Stilmittels, in der Kernfrage einer Geschichte einfach auf der letzten Seite symbolisch den Bleistift fallen zu lassen, ob die angehenden Schriftsteller jetzt in den kreativen Schreibschulen lernen, dass ein offenes Ende so cool ist?
Ist das so eine unnötige Mode wie damals die ach so pseudo-innovativen abgeschnittenen sinnlosen Portraitbilder, auf denen die dargestellte Person manchmal gar nicht mehr erkennbar war? Ein Finale mit drei möglichen Ausgängen wie bei Ishiguros „Damals in Nagasaki“ finde ich grandios, aber ein völlig offenes Ende finde ich total entbehrlich, schlampige Arbeit und einfach Leserverarsche.

Fazit: Bis auf den Schluss eine ausgezeichnete Geschichte, sehr gut konzipierte Figuren, das ethische Thema wird in vielen Facetten beleuchtet, regt zum Nachdenken an und ist zudem auch noch kurios und mit schwarzem Humor präsentiert. Lesenswert!

*Dachhase ist eine alte kulinarische Bezeichnung für ein Katzengericht. Zu Zeiten der 2. Türkenbelagerung Wiens 1683 sollen sich die ärmeren Bevölkerungsgruppen mangels anderer Nahrung unter anderem von Katzenfleisch ernährt haben.

 

Schiff oder Schornstein, Kollage, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker - kekinwien.at

Schiff oder Schornstein, Kollage, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at

 

Schiff oder Schornstein

Andrea Stift-Laube

 

Buchdetails:

ISBN: 9783218011549
Ausgabe: fester Einband
Umfang: 192 Seiten
Verlag: Kremayr & Scheriau
Erscheinungsdatum: 4. Februar 2019
gesehen um: Euro 19,90
(Beitragsbild: Schiff oder Schornstein, Kollage, Bild (c) Alexandra Wögerbauer-Flicker – kekinwien.at)

 

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