Ende der 80er Jahre saß ich auf den Kellertreppen der Galerie und Kunstbuchhandlung Welz und versank in den Büchern der Fotografinnen Nan Goldin, Bettina Rheims und Cindy Sherman.
Mir war nicht bewusst, dass die Damen mit knapp über 30 da schon
quasi retrospektive Kunstbücher auf dem Markt hatten.
Unlängst begegnete ich Cindy Sherman wieder.
„That’s me – That’s not me.“ in der Vertikalen Galerie
der Sammlung Verbund.
Die letzte Cindy Sherman Ausstellung hab ich 2007 mit 50.000 anderen Besuchern im Berliner Martin-Gropius-Bau gesehen.
Als ich jetzt von der Ausstellung in Wien hörte, dachte ich gleich – ideal für meinen erste Besuch
in der Galerie des Verbund. Zuerst hat mich erstaunt, dass diese nur zwei mal wöchentlich im Rahmen einer Führung für eine kleine Gruppe von etwa 15 Personen zu sehen ist. Fast so,
wie meine Sherman Entdeckung als Jugendliche auf der Kellertreppe.
Die genial ‘vertikale Galerie’ genannten Räume sind das Stiegenhaus des Verbund am Hof
im 1. Bezirk, zu dessen Füßen Olafur Eliasons gelber Nebel täglich zur Dämmerung emporsteigt.
Der Verbund hat für seine allgemein als hochkarätig anerkannte Sammlung (noch?) keine repräsentativen Räume. Die MitarbeiterInnen können so ein tägliches Naheverhältnis zu den teuersten KünstlerInnen der Zeit aufbauen. Jetzt sind es subtile schwarz-weiß Arbeiten aus Shermans Studienzeit in Buffalo, bevor sie 1976 nach New York zog.
Sherman fotografierte schon damals, und seither fast ausschließlich,
sich selbst. Verkleidet in immer neuen Rollen vollzieht sie durch Perücken, Prothesen und Make-up beeindruckende Methamorphosen.
Jetzt durfte die heimische Kunstszene mit Sherman ganz ohne Masken
auf Tuchfühlung gehen und ist beeindruckt
http://esel.at/s/72157629054325859.
„Jenen, die der Persönlichkeit hinter der Larve nachspüren wollen, spielt die ‚wahre Sherman‘ also mögliche Interpretationen mit der gleichen Offensichtlichkeit zu, wie sie ihnen diese entzieht.“ (Zitat: Wiener Zeitung)
Bei Ihr, wie bei einigen anderen bildenden KünstlerInnen und RegisseurInnen, scheint im nachhinein die gesamte Arbeit schon in den ersten Werken angelegt zu sein. Und die ist so komplex, dass daraus quasi endlos geschöpft werden kann. Dabei wird sie größer, farbiger
und fasziniert immer aufs Neue. In diesem Kontext interessant ist ein Foto, auf dem die zwölfjährige Cindy und eine Freundin als alte Damen posieren.
Sherman sieht die Fotos ihrer Studienzeit in nicht so engem Zusammenhang zur späteren Arbeit. Sie sieht “diese jüngere Frau, zu der ich in vielen Bereichen keine Beziehung mehr aufbauen kann.” (Zitat: Interview im Format)
Dem Standard antwortet Sherman auf die Frage „1976 haben Sie die Kamera als Werkzeug beschrieben, mit der Sie Ihre Erfahrungen als Frau erkunden konnten“: „Als ich das schrieb,
war ich sehr jung, 22, wollte smart, stark und selbstbewusst wirken. Heute glaube ich nicht mehr, dass ich das wirklich so sah. Ich glaube, ich habe meine Arbeit mehr als notwendig politisiert.”
Was Sherman selbst fasziniert ist die exakte, detailreiche Entwicklung einer Figur.
Diese konzentrierten Arbeitsvorgänge macht sie unbeobachtet, ohne Assistenz, intuitiv und
immer wieder zu sich und zur Arbeit in Distanz tretend.
Keine KünstlerIn kann im 21. Jahrhundert ein Foto von „sich als andere“ machen ohne dabei an Cindy Sherman zu denken.
Parallellen in der künstlerischen Arbeit sind zu Birgit Jürgenssen (1949-2003) zu finden,
die als eine der wenigen österreichischen KünstlerInnen von Gabriele Schor, der Leiterin der Sammlung Verbund, in diese aufgenommen wurde.
Anhand zweier von Schor mit herausgegebenen Kunstbüchern kann man Verbindungen entdecken und den unterschiedlichen Umgang des Kunstmarkts mit dem Werk von Sherman und Jürgenssen hinterfragen.
That’s me – That’s not me.
Cindy Shermans frühe Werke
Verbund AG Vertikale Galerie
Am Hof 6a, 1010 Wien
Tel.: 01 / 50313-50044
mail: sammlung@verbund.com
website: http://www.verbund.com/kt/de/vertikale-galerie
Geführte Kunstgespräche nach Voranmeldung
jeden Mittwoch ab 18.00 Uhr und Freitag ab 16:00 Uhr.
Eintritt frei.
Die Ausstellung läuft seit 27. Jänner 2012 und ist noch bis bis 16. Mai 2012 zu sehen!
Cindy Sherman: Das Frühwerk 1975-1977
Catalogue raisonné
von Cindy Sherman und Gabriele Schor
Februar 2012, 376 Seiten, gebunden, 288 Abbildungen, Hatje Cantz Verlag
ISBN 978-3-7757-2980-2
Euro 49,80
Birgit Jürgenssen
von Elisabeth Bronfen, Birgit Jürgenssen, Sigrid Schade und Gabriele Schor
3. Dezember 2009, gebunden, 240 Abbildungen, Verlag Prestl
ISBN 978-3-7913-5103-2
Euro 49,95