Still, Susan Cain
Ich dachte zunächst, ‚Still‘ dreht sich um unsere zu laute Welt – und wie man darin zur Ruhe kommt.
Immerhin hatte das Buch ein Arzt empfohlen.
Doch es geht um viel mehr als die manchmal nervige Geräuschkulisse, die uns umgibt.
‚Still‘ beschäftigt sich erhellend und grandios mit ‚der Kraft der Introvertierten‘ …
Auf über 400 Seiten widmet sich Susan Cain in der mittlerweile 8. Auflage seit dem Erscheinen des Buches 2011 mit nicht mehr und nicht weniger als einem Drittel der Menschheit. Rosa Parks war es, Albert Einstein, Gandhi, Willi Resetarits (laut eigener Aussage in einem Interview unlängst auf Ö1) zum Beispiel und Susan Cain sind es: introvertiert – aus kultureller Sicht. Die Autorin erklärt ihr Verständnis des Begriffs mehrfach und man darf ihr getrost folgen.
Es geht dabei um mehr als das Gefühl, dass man zu Silvester lieber zu Hause zu bleiben würde (und dies vielleicht auch tut). Cain nennt die Protagonisten ihres Buches auch „Denker“: Sie versenken sich gern und ausführlich in Themen, die sie interessieren, ausdauernd erarbeiten sie Problemlösungen. „Tatmenschen“ sind in anderer Weise lösungsorientiert, sie haben den Zug zum Tor. Es braucht beides in unserer Gesellschaft, in der menschlichen Gemeinschaft und natürlich auch alle Mischungen dieser Eigenschaften.
Über weite Strecken gelingt es der Autorin die Balance zu halten zwischen den Polen und nicht zu werten. Trotzdem habe ich ihre durchblitzende Bevorzugung der eigene Gruppe manchmal zu spüren vermeint und das hat mich besonders im ersten Viertel des Buchs gestört. Schwamm drüber, der Nutzen und die Erkenntnisse aus der Lektüre überwogen bei weitem.
Wenngleich einem der eine oder andere Gedankengang der Autorin banal erscheinen mag, bliebt unterm Strich ein überraschend spannendes Leseerlebnis. Wie bezeichnet die keke Autorin awogfli solche Bücher treffend: „Ein echter Pageturner“.
Ich selbst war auch ein schüchternes Kind und hatte das Glück von meinen Eltern nicht „optimiert“ zu werden. Ich durfte stunden-, ja tagelang lesen, versunken spielen und wurde nur selten zu Dingen genötigt, die mir unangenehm waren wie zum Beispiel auf dem Klavier anderen Menschen etwas vorzuspielen. (Ich war nicht gut darin außerdem. Und vor der verhassten Cousine meiner Mutter, die wohl eine der ersten Tennismütter war, wäre dies selbst für eine extrovertierte Rampensau kein Vergnügen gewesen.) Wer mich erst als Erwachsene kennengelernt hat, würde mich übrigens kaum als introvertiert beschreiben. Diesen scheinbaren Widerspruch versteht man nach „Still“ auch besser.
„Still“ hat mir geholfen, vieles an meinem Kind-Ich besser zu verstehen und mich an früher zu erinnern. In Diskussionsrunden, privat und beruflich, werde ich in Zukunft hoffentlich mehr darauf achten, jene zu ermächtigen ihre Stimmer zu erheben, denen dies schwer fällt. Guten Ideen muss man manchmal Gehör verschaffen. Sich selbst und andere besser zu verstehen, macht das Zusammenleben- und Arbeiten schlicht einfacher.
Abgesehen von viel Selbsterkenntnis hat mich „Still. Die Kraft der Introvertieren“ überdies einfach sehr gut unterhalten. Die Autorin gibt viele anschauliche Beispiele aus ihrem Leben, zeichnet Menschen und Situationen gekonnt nach, arbeitet wissenschaftlich und gut strukturiert die Bereiche Schule und Universität oder Berufs- und Liebesleben ab. Und ja, es sind auch ein paar nette Selbsttest dabei.
Fazit: Ein wichtiges Buch. Es sollte in die Lehrpläne von Schulen einfließen, so wie die tägliche Turnstunde und Meditation.
Ich werde es sicher immer wieder einmal lesen.
Still – Die Kraft der Introvertierten
Susan Cain
Buchdetails:
- Übersetzerinnen: Franchita Mirella Cattani, Margarethe Randow-Tesch
- Originaltitel: QUIET
- Verlag: Goldmann
- Taschenbuch
- 464 Seiten
- ISBN: 978-3-442-15764-8
- auf Deutsch erschienen am 15. Juli 2013
- gesehen um Euro 10,30