Phönix, der neue Film von Christian Petzold, feierte am 3.12.2014 im Stadtkino im Künstlerhaus in Anwesenheit der Hauptdarstellerin Nina Hoss seine Wienpremiere.
Gleich zu Beginn kann man sich festhalten am sehnsuchtsvollen Song ’Speak Low’ von Kurt Weil aus dem Jahr 1943.
Die Melodie trägt einen weiter durch den Film. Der Text von Ogden Nash über eine verlorene Liebe steht hier für die Liebe zwischen Nelly und Johnny, die ihnen die Zeit, die Verfolgung und der Krieg gestohlen haben.
Berlin unmittelbar nach dem zweiten Weltkrieg, man kam noch nicht einmal dazu, mit dem Abtragen der Schuttberge zu beginnen. Doch die üppige Natur, die uns der Film auch zeigt, verweist darauf, dass das Leben weitergehen wird, für die, die Glück hatten.
Nur, was soll und kann das für ein Leben sein?
Darf man, nachdem so Schreckliches passiert ist, überhaupt wieder lachen, tanzen, lieben?
Wie kann man nach einem Krieg das Leben wieder genießen, wenn man nicht weiß, wie überhaupt weiterleben.
Christian Petzold wurde durch seinen Lehrer und Freund, den kürzlich verstorbenen Künstler Harun Farocki, auf das Buch des Franzosen Hubert Monteilhet ‚Aus der Asche entstiegen‘ aufmerksam:
Eine Jüdin kehrt aus dem Konzentrationslager zurück, das sie um ein Haar nicht überlebt hätte, was physische und psychische Spuren hinterlassen hat. Nach einer Gesichtsoperation begegnet sie ihrem Mann. Dieser sieht in ihr aber nur eine Frau, die der tot geglaubten Gattin erstaunlich ähnlich sieht und überredet sie, sich als diese auszugeben, damit er an das Erbe kommt.
Der Pianist Johannes, die männliche Hauptfigur in ‚Phönix‘, sieht die einzige Möglichkeit in einem neuen Leben außerhalb Deutschlands. Finanziell kann ihm das nur mit dem Erbe gelingen. Ihre gegenseitige Liebe hat er – ebenso wie seine Schuld an Nellys Verhaftung – verdrängt.
Das klingt nach Hitchcock, aber Petzold entwirft die Charaktere absolut heutig. Ihn interessiert wie jeder von uns heute auf der Suche nach sich selbst ist und nicht die spannende Krimihandlung. Seine positive Grundhaltung und das Fehlen jedes Zynismus spricht auch gegen den Film Noir, den viele in Phönix gesehen haben wollen.
Wir sollten uns nicht die Frage stellen, warum er Nelly nicht erkennt, er kann es nicht zulassen.
Er erkennt sich selbst nicht wieder, in dem was er getan hat, kann selbst den eigenen Gefühlen nicht mehr trauen.
Damit bleibt Johnny als Figur ungreifbar, ganz anders als Nelly, deren weit geöffneter, fragender und suchender Blick sich uns ins Herz brennt.
Die vor wenigen Jahren noch so schöne Sängerin will ihr altes Leben zurück und hofft durch Johnny, wenn auch unter falschen Voraussetzungen, wieder sie selbst zu werden. Nelly hat nur wegen und für ihren Mann überlebt, doch mehr als ihn zurück gewinnen zu wollen, setzt sie alles daran, von ihm erkannt zu werden. Als die gesehen zu werden, die sie jetzt ist, die selbe Nelly, auch nach dem KZ.
Beeindruckend wie unsicher und fahrig Nina Hoss die erst noch verstörte, verletzte Nelly spielt, die sich anfangs mit Kopfverband wie ein Geist als scheinbar körperlose Hülle bewegt. Sie muss nicht nur vom Chirurgen ein neues Gesicht bekommen, sie muss sich auch wieder spüren lernen.
Ihre Freundin Lene hingegen will eine neues gemeinsames Leben mit Nelly in Israel einrichten. Aus dem Exil versuchte die Anwältin während des Kriegs Menschen zu retten. Sie hat Nelly das Leben gerettet, aber nachdem diese ihr klar macht, dass sie ihre eigenen Pläne hat und in Deutschland bleiben wird, kippt die Energie der scheinbar viel stärkeren Freundin (einprägsam dargestellt von Nina Kunzdorf).
Von der einfachen wie komplexen Geschichte fasziniert diskutierten die beiden Filmemacher Petzold und Farocki über Jahre hinweg, ob dieser Stoff in einem Film überzeugend darstellbar sei. Mit den Protagonisten aus dem letzten Film Barbara, also Nina Hoss und Ronald Zehrfelde, ist das Kammerspiel gelungen: einer der überraschend wenigen deutschen Filme über diese Zeit direkt nach dem Krieg, über den Versuch an das Leben davor wieder anzuschließen.
Bei Christian Petzold wächst in der Geschichte von ‚Barbara‘ die Liebe, bei ‚Phönix‘ liegt sie bereits in der Vergangenheit und das stellt höhere Ansprüche an uns als Zuseher.
Petzold hat mit seinem Kameramann Hans Fromm, wie im Vorgängerfilm, auf analogem Material gedreht und die Lebendigkeit von ‚echtem Film‘ ist spürbar.
Dass die Ausstattung wieder historisch präzise, die Kostüme und Maske ebenso gekonnt wie dezent sind, freut die FilmliebhaberInnen.
Die frappierende Künstlichkeit, die dabei entsteht, erinnert aktuell an Amour Fou von Jessica Hausner und Shirley von Gustav Deutsch und lässt ein Filmkunstwerk abseits der dokumentarischen Bilder, die wir kennen, entstehen.
In der FAZ bemüht Verena Lueken in ihrer Filmkritik Vergleiche mit Hitchcocks Vertigo , aber darüber kann man gern mit mir streiten …
Wie kann man als Opfer wieder unter den Tätern leben?
Nelly macht sich tapfer auf den Weg wieder sie selbst zu werden, auch wenn sie nicht dieselbe sein wird. Alles fühlt sich erst einmal falsch an für die Zurückgekehrte, ihr rotes Kleid ebenso wie die Schminke.
Nelly sagt: ‚Ich kann doch nicht mit Schuhen aus Paris und in einem roten Kleid aus dem Lager zurückkehren.‘
Daraufhin erklärt Johnny kalt: ‚Doch, sonst erkennen die dich nicht, sonst sieht dich keiner an.‘
Die Gesellschaft, die ihre Mitglieder ins Lager geschickt hatte, wollte der Tatsache nicht ins Auge schauen und die Zeit einfach ausblenden. Niemand fragte damals: ‚Wie war es im Lager und wie gehst Du jetzt damit um?‘
In einer Szene rennt der Wirt aus dem Gartenlokal einfach weg, als er Nelly, die von dort aus ins Lager abtransportiert worden war, das erste Mal wieder sieht.
Wir rennen heute meist nicht mehr weg, aber bleiben mit vielen Fragen zurück, nach dem Verhältnis von Opfern und Tätern, nach der Schuld, dem Vergeben und Vergessen.
Wo sind die Grenzen des Sagbaren?
‚Speak low‘ singt Nelly – ein schwebender Schluss.
Phoenix
2014, BRD, 98min
Drehbuch: Christian Petzold, Harun Farocki
Regie: Christian Petzold
Kamera: Hans Fromm
mit Nina Hoss, Ronald Zehrfeld, Nina Kunzendorf, …
FSK 12 Jahre
Der Film läuft im Stadtkino im Künstlerhaus.
Mehr Details findest du hier.