Once Upon a Time in Hollywood
Warum ‚Once Upon a Time in Hollywood‘ von Quentin Tarantino in den USA den besten Start aller seiner Filme an den Kinokassen hingelegt hat? Gute Frage! Erstaunlich auch, weil es über weite Strecken gar keine Erzählung in eigentlichen Sinn gibt. Und trotzdem ist keine der 161 Minuten zu viel. Wir haben den neuen Tarantino, der am 15. August 2019 bei uns startet, bereits gesehen …
Es war einmal ein Hollywoodstar, der den Zenit seines Rums bereits überschritten hatte. Rick Dalton (großartig: Leonardo diCaprio) ist der Held in einer TV-Westernserie im Hollywood der späten 1960er Jahre. Es ist noch die Zeit der großen Studiobosse, doch der Aufbruch in Richtung New Hollywood und Independent Cinema ist deutlich spürbar. In der neuen Ära wird keine Platz mehr sein für Typen wie Dalton oder sein Stuntdouble Cliff Booth (ebenfalls großartig: Brad Pitt), so viel scheint sicher.
Booth ist nebenbei auch Daltons „Mädchen für alles“, vor allem sein Fahrer seit Dalton den Führerschein wegen Trunkenheit am Steuer abgeben musste. Der Schauspieler wohnt standesgemäß in Los Angeles am Cielo Drive und bekommt dort neue Nachbarn. Roman Polańsky zieht mit seiner schönen Frau ein: Sharon Tate (beinahe dauerlächenld: Margot Robbie). Sektenführer Charles Manson „verirrt“ sich ein Mal dorthin und man vermeint aus der blutigen Historie zu wissen, was kommen wird …
Chuzpe und Märchen
Das traut sich auch nur Tarantino, dass er einen Film „Once Upon a Time …“ nennt. Wir erinnern uns an Sergio Leones „Once Upon a Time in the West“, 1968, bei uns besser bekannt als Spiel mir das Lied vom Tod. Es ist Tarantinos neunter Film als Drehbuchautor und Regisseur in Personalunion – laut seiner Aussage auf einer Pressekonferenz auch sein vorletzter. Der Streifen lief nachnominiert heuer in Cannes, also genau 25 Jahre nach der Goldene Palme für Pulp Fiction ebenda. Wir wollen das Œuvre kurz Revue passieren lassen:
- 1992 Reservoir Dogs
- 1994 Pulp Fiction (Oscar: Best Writing, Screenplay Written Directly for the Screen)
- 1997 Jackie Brown
- 2003/2004 Kill Bill: Vol 1 + Vol 2
- 2007 Grindhouse: Death Proof
- 2009 Inglourious Basterds
- 2012 Django Unchained (Oscar: Best Writing, Original Screenplay)
- 2015 The Hateful Eight
Angeblich ist Kill Bill Vol. 3 in Planung, aber der zählt dann nicht als zehnter Filme mit Drehbuch u n d Regie. Man darf gespannt sein, womit sich Quentin Tarantino ein finales Denkmal setzen wird. Jetzt hat er uns mit „Once Upon a Time in Hollywood“ ein atmosphärisch dichtes Märchen über das alte Hollywood serviert.
Autofahrten und kleine Schätze
Was ich mit keine Erzählung in der Einleitung meinte? Es gibt keinen Spannungsbogen außer jenem, den man zu kennen glaubt, weil Mitglieder der „Manson-Familie“ damals am 9. August 1969 die hochschwangere Sharon Tate und vier ihrer Freunde am Cielo Drive brutal ermordet hatten. Tatsächlich schauen wir den Großteil des Films Dalton und Booth beim Leben zu. Eine Reihe von unbedeutend erscheinenden Szenen, die die Handlung kaum vorantreiben, reihen sich wie eine kostbare Perlenkette aneinander.
Trotz Überlänge fällt man nie aus dieser Aneinanderreihung von Kleinodien heraus. Ich habe dieses Gefühl nicht oft, dass ich kaum ist ein Film zu Ende, ihn ein zweites Mal sehen will, weil ich sicher viele herrliche Details übersehen habe – und ich meine jetzt nicht Brad Pitt, der sich beim Reparieren von Daltons Fernsehantenne auf dem Dach das Hemd auszieht.
Coolness und Pragmatismus
Wann ist eigentlich der Begriff „cool“ entstanden? Es muss in den 1960ern gewesen sein. Man hätte ihn jedenfalls erfinden müssen für diesen Film und die große Lässigkeit, die vor allem Cliff Booth ausstrahlt. Wie seine Figur entworfen ist, mochte ich besonders: ein Stuntmen, von dem man munkelt, er habe ungestraft seine Frau ermordet, der gern schnell Auto fährt – wobei man ihm mindestens so gern dabei zusieht – ein Kriegsheld mit einem ausgeprägten Gerechtigkeitssinn, der diesen auch effektiv exekutiert. Wer sich an Uma Thurman in Tarantino Filmen erinnert: genau so cool
Witz und Musik
Einige Szenen sind ungemein komisch, es gab Lacher bei der Pressevorführung. Ich liebe zum Beispiel die, in der Booth mit Bruce Lee (ein bisschen outrierend der Martial Arts Experte und Stundtman Mike Moh) am Set hinter den Kulissen kämpft. Und dann kommt noch Kurt Russel dazu … außerdem an dieser Stelle wieder ein Mal ein Plädoyer für die Originalversion: Nicht nur wegen der Stimme von Brad Pitt oder Michael Madson, sondern weil es ja schade wäre all die vielen Wortwitze zu verpassen!
Die Filmmusik ist auch wieder einmal große Klasse, ein Parameter, der bei „Once Upon a Time in Hollywood“ tatsächlich „typisch Tarantino“ ist.
Blut und Zigaretten
Meine Güte, was wurde damals geraucht, also was und wie viel! Das wirkt hier und heute beinahe karikaturhaft.
Und ja, es gibt spritzendes Blut, ein paar fette Schläge in Gesichter und ausreichend Leichen. Im Vergleich zu den oben aufgezählten Werken nehmen diese Szenen aber nur einen geringen Teil des Films ein. Überdies wird man eventuell Opfer der eigenen Erwartungshaltungen, was den Meister und seine Finale Furiosi betrifft.
Trotzdem, es ist erstaunlich gegen wie viele verschiedenen Gegenstände man ein und denselben Kopf schlagen kann im Zweikampf – du wirst dann schon wissen, welche Szene ich meine … viel grausiger fand ich allerdings, wie Booth seinem Hund das Futter serviert – das kommt sogar zwei Mal vor.
Details und Liebe
Ich wünschte, ich hätte ein photografisches Gedächtnis! Wenn „Once Upon a Time in Hollywood“ dann irgendwann einmal auf DVD herauskommt, werde ich sicher oft die Stopptaste drücken, um Filmstills in Ruhe betrachten zu können. Es gibt so viel amüsante Einzelheiten zu entdecken:
- Booth wohnt in einem Trailer hinter einem Autokino.
- In einer Szene wird eine Westerkulisse von links nach rechts aus dem Bild geschoben – Western sind out. Daltons Karriere neigt sich ihrem Ende zu.
- Alle Szenen, die DiCaprio und Trudi Fraser (Julia Butters) gemeinsam haben, sind großes Kino im Kino!
- Wie Fernsehen und Kinofilme von den einzelnen Figuren konsumiert werden und welchen Stellenwert sie in deren Leben haben, ist bemerkenswert.
- Pilotenbrillen werden (schon wieder) total hip werden, das verspreche ich euch.
- Grimmige Hippies haben viel komisches Potential …
- Man beachte, wer welche Schuhe trägt, überhaupt ist die gesamte Ausstattung toll.
- Schöne Frauen schnarchen in diesem Film.
- Gratulation an die Hundetrainer*innen und Hunde – ich vermute es waren mehrere.
- Die Kamera von Robert Richardson! (Der Mann hat schon drei Oscars für JFK – Tatort Dallas, 1992, weiters für Aviator, 2005, und für Hugo Cabaret, 2012, und war außerdem dreimal für den Oscar nominiert für Inglourious Basterds, Django Unchained und The Hateful Eight.)
Fazit: „Once Upon a Time in Hollywood“ wird die Tarantino-Fans ins zwei Lager spalten.
Die einen werden den Film möglicherweise langweilig, zumindest ereignisarm oder sogar enttäuschend finden. Die anderen werden sich über ein herausragend agierendes und bis in die kleinste Nebenrolle hochkarätig besetzten Ensemble freuen, über die perfekte Handwerkskunst absolut aller Beteiligten und werden schlicht beeindruckt sein. Großes Kino übers Kino!
Once Upon a Time in Hollywood
2019, USA / UK, 161min
Drehbuch: Quentin Tarantino
Regie: Quentin Tarantino
mit Leonardo DiCaprio, Brad Pitt, Margot Robbie, Al Pacino, Kurt Russell, Timothy Olyphant, Margaret Qualley, Michael Madson, Bruce Dern, Luke Perry, Damian Lewis, Dakota Fenning, Julia Butters, Mike Moh, Runner Willis, …
FSK 16 Jahre
Der Film startet am 15. August 2019 in unseren Kinos!
(Beitragsbild: Cliff Booth (BRAD PITT), Rick Dalton (LEONARDO DICAPRIO) und Marvin Schwarz (AL PACINO) in Sony Pictures‘ ONCE UPON A TIME … IN HOLLYWOOD, Bild © 2019 Sony Pictures Entertainment Deutschland GmbH