Atomic Blonde (c) Universal Pictures - kekinwien.at

Atomic Blonde

Mit David Leitch darf sich ein ehemaliger Stuntman und erfahrener Stunt Coordinator erstmals mit einen Solocredit als Regisseur in einem Spionage-Thriller mit Starbesetzung ordentlich austoben. Er kann seine berufliche Laufbahn nicht verleugnen …

Berlin, 1989, die Zeit unmittelbar vor dem Mauerfall. Noch ist Kalter Krieg. Die Agenten sterben wie die Fliegen. Niemand ist sicher, niemandem kann man trauen. Es kursiert eine Liste, die zur Enttarnung aller Agenten und Doppelagenten des britischen Geheimdienstes MI6 führen kann. Es gibt sie im Kopf eines Überläufers und als Microfilm in einer Uhr. KGB, MI6, CIA, alle wollen sie, aber wer hat sie wirklich? Die Top-Agentin Lorraine Broughton (Charlize Theron) wird von den Briten undercover als Troubleshooterin nach Berlin entsandt. Ihr Kontaktmann dort, David Percival (James McAvoy) spielt nicht immer mit offenen Karten. Und da gibt es noch diese französische Agentin Delphine Lasalle (Sofia Boutella). Jede/r kämpft auch beinhart ums eigene Überleben und niemand ist dabei zimperlich …

Was für ein schönes Katz- und Maus-Spiel!

Das Drehbuch nach der Graphic Novel Serie „The Coldest City“ aus dem Jahr 2012 von Antony Johnston und Sam Hart (Illustration) versucht den Zuseher ein paar Mal in die Irre zu führen. Aber ebenso wie die Kampfszenen manchmal schlicht zu lang und unnötig brutal ausfallen, hatte der Film für uns am Anfang (pia) und in der Mitte (für mich) durchaus Längen. Es gibt da auch Anschlussfehler und letztlich kommt man zu früh hinter das große Geheimnis. Aber keine Angst, das wird kein Spoiler.
Bemerkenswert finde ich die Tatsache, dass ein Regisseur quasi bei seiner Premiere ein Budget von (angeblich) 30 Millionen Dollar in die Hand bekam. Davon darf man in Österreich bei einem Regiedebut nicht einmal träumen!

Helden sind jetzt weiblich.

She’ll always have the upper hand. #AtomicBlonde – Now Playing.

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Mit Ausnahmen ist dieses Phänomen in Blockbustern erst in der jüngeren Vergangenheit auf meinem Radar. Ich habe mich während dieses Films oft gefragt, wie er wohl vor zehn Jahren ausgesehen hätte – mit einem männlichen Helden. Denn was bringt die Weiblichkeit hier wirklich, außer der Befriedigung der Nachfrage des Marktes? Interessanterweise bedient die weibliche Hauptfigur nämlich eine Menge typisch männlicher, zugegeben klischeehafter Eigenschaften. Nicht nur ein Mal musste ich an James Bond oder auch Jack Reacher denken. Und zwar deshalb:

  • Sie ist wortkarg.
    Es gibt keine Textzeile zu viel. Wobei, die Dialoge in der deutschen Synchronfassung sind nicht gerade brillant. Einige Schmähs verhungern leider wie Zum beispiel der Sager des CIA-Mannes zur Tielheldin: „Wenn sie mit allen Männern so umgehen, na dann Gute Nacht!“ Kein Lacher im gut besetzten Saal bei der Pressevorführung.
  • Sie kämpft oft Mann bzw. Frau gegen Mann.
    Faustfeuerwaffen waren für Kriminelle, Polizei und Geheimdienst wohl auch zur Zeit des Mauerfalls in Berlin keine Mangelware. Obwohl man das manchmal glauben könnte. Besonders in der fast quälend langen Szene in einem verlassen Gebäude (zehn Minuten am Stück!), in der sie von mehreren Handlangern des russischen Geheimdienstes in Bedrängnis gebracht wird, scheinen alle Waffen, auch die der Angreifen leer, verschwunden, was weiß ich. Gekämpft wird Frau gegen Mann mit Fäusten und Einrichtungsgegenständen. Man merkt ein Mal mehr, dass der Regisseur ursprünglich Stuntman war. Sicher alles unheimlich aufwendig, unheimlich gekonnt, aber irgendwann auch fade, weil es die Geschichte irgendwann nicht mehr vorantreibt.
  • Sie trinkt und raucht wie blöd.
    Okay, es sind noch die Achtziger und all das Product Placement muss glaubhaft im Plot untergebracht werden (Stolichnaya Vodka). Und schon schweifen meine Gedanken wieder ab und ich stelle mir einen Helden vor, der in einem anderen Jahrzehnt auf Clean Eating steht oder Veganer ist, der Cross Fit macht und Ashtanga Yoga, ein bisschen so wie die Hauptfigut in Ex Machina.
  • Sie ist unzerstörbar und hart im Nehmen.
    Sie badet in Eiswasser und versorgt ihre zahlreichen Blessuren selbst. Ob das glaubhaft ist? Der muskulöse Rücken in der Anfangssequenz ist abgesehen von der Tatsache, dass man das Bobydouble (nicht nur in dieser Szene) deutlich wahrnimmt durch ihre (filmische) Lebensweise nicht erklärbar. In Wirklichkeit hatte Theron angeblich acht (!) Personal Trainer um die körperlichen Anstrengungen dieses Filmes zu meistern und u.a. die Kanadische Stuntfrau Monique Ganderton zu Seite.
  • Sie ist eine Soziopathin.
    Ihr Liebesleben erinnert schon sehr deutlich an das von Bond und ähnlich einsamen Wölfen des Genres. Dass sich der Regisseur noch eine lesbische Liebesszene in Hochglanz im Drehbuch gegönnt hat, sei ihm verziehen. In der Version für den Arabische Raum fehlt diese Szene übrigens. Ich musste an Sharon Stone in Basic Instinct (1992) denken.

 

Atomic Blond ist sowas von Achtziger!

They took everything from her. Now, payback goes Atomic. #AtomicBlonde #FanArt by Yannick Bouchard.

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Und das ist verdammt gut so. Als jemand, der diese Zeit erlebt hat, wäre ich fast sentimental geworden, obwohl ich in diesem Jahrzehnt meine (bisher) größten Modesünden begangen hatte. Aber an der schlanken, aufrechten Gestalt von Charlize Theron sieht einiges von damals schon richtig gut aus. Kostüme: Cindy Evans. Dass man bei den Sonnenbrillen auf Tom Ford quasi vorgegriffen hat, verstehe ich. Auch ein paar andere Details sind historisch ungenau, was ich persönlich als lässliche Sünden einstufe. Ein bisschen Fantasy muss wohl sein, war ja alles schließlich eine Graphic Novel früher. Was ich gelernt habe: Ein Stiletto kann auch in der Hand eine sehr effektive Waffen sein. Ein dreifaches Hoch auf die Ausstattung also. Und auf einige sehr schöne Szenenbilder, besonders im Kino, wenn Der Stalker (1979) von Andrei Tarkowski mehrfach in Szenen gesetzt wird (Läuft am 27.8.2018 im Rahmen des Arena Sommerkinos in Wien übrigens.). Der Location Scout hat seine Arbeit gut gemacht.
Gleiches gilt für die Musik. Den Soundtrack sollte man sich gönnen. Musik und Bild bilden eine stimmige Einheit. Eine Verbeugung vor Tyler Bates, der für die Musik von Atomic Blonde verantwortlich zeichnet. Ein paar Highlights gefällig?

  • How does it feel, New Order
  • Cat Peolple, David Bowie
  • Major Tom, Peter Schilling
  • 99 Luftballons, Nena bzw. beim 2, Mal: Kaleida
  • Father Figure, George Michael
  • Der Komissar, Falco, aber performed by After The Fire
  • Londion Calling, The Clash
  • Behind the Wheel, Depeche Mode
  • Under Pressure, Queen mit David Bowie

 

Die Besetzung von Atomic Blonde hat Sprengkraft.

Auch kleinere Rollen sind zum Beispiel mit John Goodman (Emmett Kurzfeld, CIA) oder Eddie Marsan (der Überläufer „Spyglass“) groß besetzt. Theron macht ihre Sache gut. Sie spielt so unterkühlt wie ihr Blond Platin ist. In den Verhörszenen übertreibt sie’s manchmal mit der Coolness, finde ich. Aber es tut sich durchaus mehr in ihrem Gesicht als zum Beispiel in Prometheus.

Man merkt die Koproduktionen. Deutsche Topstars glänzen in Minirollen: Barbara Sukowa als strenge Gerichtsmedizinerin und Til Schweiger als geheimnisvoller Uhrmacher, der seine drei Sätze völlig nuschelfrei über die Rampe bringt in der Synchronisation. (Ach, schon wieder so ein schönes Product Placement: Carl F. Bucherer, der Regisseur ist übrigens Brand Ambassador dieser Uhrenmarke.) Aber man freut sich irgendwie. Auffallend war die Präsenz von Bill Istvan Günther Skarsgård als Merkel, Lorraine Broughton’s MI6-Assistent und von Roland Greisen Møller (Dänemark! Man erinnere sich an Kapringen – A Hijacking). Die will man beide gern öfter sehen.

Fazit: Ich fühle mich durchaus als Zielgruppe von Atomic Blonde, war aber nicht restlos glücklich und empfehle hiermit dringend die Originalfassung.
Solides Blockbusterkino. Spannend. Pflicht für Fans von perfekten Stunts und Nahkämpfen.
Filmzitat: „Everything you want is on the other side of fear.“ (Jack Canfield)

 

 

 

Atomic Blonde

2017, USA / Schweden / Deutschland, 115min
Drehbuch: Kurt Johnstad
basierend auf der Graphic Novel „The Coldest City“, geschrieben von Antony Johnston und illustreiert von Sam Hart
Regie: David Leitch
mit Charlize Theron, James McAvoy, John Goodman, Toby Jones, Sofia Boutella, Eddie Marsan, …
FSK 16 Jahre

Der Film startet am 24. August 2017 in unseren Kinos.

 

schwer in ordnung - 3 sterne - kekinwien.at

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