LincolnZu Beginn von Lincoln erlag ich meiner natürlichen Arroganz der Mitteleuropäerin mit Geschichte.
Was interessieren mich die Winkelzüge eines amerikanischen Präsidenten aus dem Jahr 1865?
Wenn schon Geschichte der USA, dann bitte Argo oder Zero Dark Thirty!
Immer mehr, immer berührender im Lauf des Spielberg’schen Historiendramas interessierten sie mich doch.
Und das hat nicht nur mit der begeisternden darstellerischen Leistung von Daniel Day-Lewis zu tun.

Der Bürgerkrieg der Südstaaten gegen die Nordstaaten tobt und fordert auf beiden Seiten hohen Blutzoll.
Lincoln kämpft aber auch an einer anderen Front: er will in seiner zweiten Amtszeit nicht nur diesen Krieg endlich beenden, sondern davor noch möglichst rasch einen zusätzlichen Artikel zur Verfassung für die Abschaffung der Sklaverei zur Ratifizierung bringen.
Wir beobachten ihn im Weißem Haus, wie er sich Anfragen von Bürgen persönlich stellt, wie er strategischen schlau mit großem Idealismus und letztlich allen Mitteln sein Ziel verfolgt, wir lernen seinen Stab kennen und seine Familie.
Man beobachtet einen großen Staatsmann in seinen letzten vier Lebensmonaten vor dem Attentat, eine beeindruckende Persönlichkeit bei ihrem leidenschaftlichen Tun. Intelligent, diplomatisch, juristisch spitzfindig bis zur Rechtsbeugung, politische Ränke schmiedend und mit hohem persönlichen Einsatz erreicht Lincoln sein Ziel.

Daniel Day-Lewis ist so beeindruckend, dass man sich selbst wünscht, man hätte Lincoln persönlich gekannt. Mehr als verdient gewinnt er dafür nach dem Golden Globe auch den Oscar als bester Hauptdarsteller. Gottseidank hat Liam Neeson die Rolle abgelehnt!
Day-Lewis zur Seite steht ein sehr feines Ensemble: Tommy Lee Jones ist ungeheuer präsent und für den Oscar als bester Nebendarsteller nominiert. Sally Field als Mrs. Lincoln zeichnet zusammen mit Joseph Gordon-Levitt als einer der Söhne die private Konturen des eloquenten Staatsmannes weicher.
Das Drehbuch ist auch diesbezüglich exzellent und beleuchtet alle Facetten der Lincoln’schen Biographie mit gleicher Intensität. Es basiert auf einem Teil des 2005 erschienenen Sachbuchs „Team of Rivals: The Political Genius of Lincoln“ von Doris Kearns Goodwin und lässt einen hin und wieder vergessen, dass man einen Spielfilm sieht.

Spielberg vertraut der Macht der Worte und erschlägt den Film nicht mit optischer Opulenz: die Dialoge sind geistreich und die an Gleichnissen und Geschichten reiche Sprache Lincolns unterhält den Zuseher. Die dezent eingesetzte Musik hat übrigens das Chicago Symphony Orchester unter Ricardo Muti eingespielt.
Die Belohnung waren zwölf Oscar-Nominierungen, darunter die Kategorien Bester Film, Regie und Drehbuch.

Lincoln ist ein zutiefst amerikanischer Film und hervorragend ausgeführt in allen Bereichen.

Für Liebhaber von Historienfilmen; für Menschen, die sich von der Allgemeingültigkeit des Themas bewegen lassen wollen – Sklaverei und Ungleichheit gibt es nach wie vor.

 

 

Lincoln

2012, USA, 150min
Drehbuch: Tony Kushner, John Logan, Doris Kearns Goodwin
Regie: Steven Spielberg
mit Daniel Day-Lewis, Sally Field, Tommy Lee-Jones, David Strathairh, James Spader, Joseph Gordon-Levitt, Hal Holbrook, Jared Harris,…
FSK  12 Jahre

Lincoln läuft  in vielen Wiener Kinos.
Der Film ist seit April auf Blu-ray, DVD und VoD erhältlich.

 

 

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