“Bei ungemütlichem Winterwetter auf einem Markt Lebensmittel einkaufen?”
Schaut nicht so entsetzt!
Mit Punsch auf dem Weihnachtsmarkt herumstehen ist auch kaum jemandem zu kalt.
Wenn es denn regnet, ist natürlich ein Dach über dem Kopf schon von Vorteil, doch mit Markthallen hat Wien kein glückliches Händchen.
Oder leben wir doch in einer neuen Gründerzeit?
In Barcelona, Madrid, London, Budapest, Rotterdam, Stockholm, Berlin (siehe unten), Dresden, Frankfurt, Kassel, Stuttgart, München, usw. sind sie ein bei HobbyköchInnen und echten Profis beliebter Einkaufsort. Eine gute Markthalle wird meist auch zum Touristenmagnet, lässt sich aber dadurch nicht umbringen. Markthallen gibt es von Innsbruck bis Seattle, nur in Wien … ?
Paris soll uns in Fragen des Essens ausnahmsweise einmal nicht Vorbild sein.
Die einstige riesige Detail- und Großmarkthalle niederzureißen, eine prächtige Glas-Stahlkonstruktion, die dem Eifelturm um nichts nachstand, und das chaotisch bunte Markttreiben zu beenden, war wie der Stadt das Herz herauszureißen, beklagen heute noch viele, die sie kannten. Der ‘Bauch von Paris’, von dem Emil Zola in seinem Buch 1873 schreibt, wurde 1969 in einen Außenbezirk verlegt. Den heutige Großmarkt ‘Rungis’ kann besuchen, wer sich die Mühe macht, aber so ‘kulinarisch’ wie früher ist es nicht, eher gigantisch (zwei Quadratkilometer).
Das Gebiet von ‘Les Halles’ im Pariser Zentrum ist seither ein Einkaufszentrum mit umständlichem RER/Metro-Umsteigeknoten. Ansonsten eine architektonische Wüste, die zu durchqueren langweilig ist.
Wiens einzige Markthalle in Leichtbauweise stand in der Zeditzgasse im 1. Bezirk (erbaut 1871).
Sie wurde aber weder von den Händlern noch der Bevölkerung angenommen und schon zur vorletzten Jahrhundertwende in die Kunsthalle des Hagenbundes umgewidmet. Nach dem Krieg wiederaufgebaut, wurde sie 1965 demoliert.
Viel beliebter war, wie es scheint, die Detailmarkthalle in der ehemalige Esterházy-Reitschule, zwischen Amerlinggasse und Esterhazygasse im 6. Bezirk, die 1877 zur Markthalle umgerüstet wurde. Zu ihrem weiteren Schicksal habe ich keine Hinweise gefunden.
Wiens letzte erhaltene der ursprünglich vier 1880 in Ziegelbauweise errichteten Markthallen steht an der Ecke Nussdorfer Straße/Alserbachstraße (siehe Foto oben).
Mitte der 1990er Jahre wurde sie elf Monate lang umgebaut und aufwendig renoviert. Das große Markt-Revival, auf das ich mich als ehemalige Anrainerin schon gefreut hatte, blieb aber aus. Heute ist dort eine Supermarktfiliale und ein Partylokal.
Die erste 1865 in Wien errichtete Detailmarkthalle war die Central-Markthalle, mit direktem Anschluss an den Bahnhof Hauptzollamt (heute Wien-Mitte), der eine rasche Versorgung mit Nahrungsmitteln ermöglichen sollte. Der Zugverkehr und die Verzollung funktionierte aber nicht wie erhofft und es dauerte einige Jahrzehnte, bis der Handel dort in Schwung kam. Es wurde dort auch der Großmarkt angeschlossen und um 1900 wurden zwei weitere Hallen errichtet. 1972 kam der Großmarkt nach Inzersdorf, der Fleischgroßmarkt erst mit einer 35 Jahre dauernden Zwischenstation in Sankt Marx.
Die zuletzt in Wien Mitte errichtete Markthalle des Landstraßer Marktes bestand 1979 bis 2008, dann kam der Abriss. Bis zum Herbst diesen Jahres wurde die Wiedereinrichtung einer neuen Markthalle in Wien Mitte versprochen, nun ist das eingetreten, was Skeptiker erwartet haben, das endgültige Aus. Mit dem großflächigen Protest, der Ende der 1960er Jahre in Paris auch nichts half, sind die vereinzelten Aufschreie in Wien gegen das Ende des Landstraßer Marktes aber nicht zu vergleichen.
Den ehemaligen unterirdischen Wasserbehälter der Wiener Wasserversorgung kann man mit den großen und kleinen ‘Bau-Perlen’, die es gab, nicht vergleichen, aber der Meiselmarkt auf der Schmelz im 15. Wiener Gemeindebezirk ist heute Wiens einziger Markt unter einem Dach.
Seine Geschichte ist ebenso unglücklich und zeigt wieder, dass Märkte selten eine starke Lobby haben. Der Markt besteht seit mehr als hundert Jahren. 1992 wurde der Standort des Meiselmarktes mit seinen fixen Ständen von der Stadt an die Wiener Städtische Allgemeine Versicherung verkauft, die dort die Errichtung einer Wohnhausanlage, einer Tiefgarage und eines Marktes mit Einkaufszentrum plante. Die Anrainer waren dagegen. Nach zwei Brandstiftungen im Juli 1995 und einer weiteren im Jänner 1996 wurde gebaut. Der Meiselmarkt bekam das heutige ‘Notquartier’ unter dem Einkaufszentrum – und hat das Beste daraus gemacht. Die schräge und manchmal lebendige Atmosphäre und das gute Angebot, vor allem bei Gemüse, ist einen Besuch und Einkauf immer wert!
Die Idee, den Naschmarkt mit einer neu gebauten Markthalle vor dem völligen Verkommen zur ‚Fressmeile‘ zu retten, wurde wohl mit einem neidischen Blick nach Berlin zur ‘Markthalle Neun’ geboren. Hier ist das Angebot an Gemüse, Fleisch, Fisch, Brot etc. so hervorragend wie die Stimmung, die vor allem bei regelmäßig veranstalteten Food-Festivals aufblüht, denn sonst reicht die Nachfrage erst für drei Öffnungstage pro Woche.
Die privaten Betreiber wie die StandmieterInnen sind mit viel Enthusiasmus und Altruismus bei der Sache im Bestreben wertvolle Lebensmittel anzubieten, was man am Naschmarkt bei den ‘NeuzuzüglerInnen’ leider meist vermissen muss.
Etwa viermal im Jahr gibt es in der Markthalle Neun den ‘Naschmarkt’ als eines der Food-Festivals, bei dem natürlich der Wiener Naschmarkt Namenspate war, auch wenn der nichts mit Naschen zu tun hat und es beim Berliner Naschen ausschließlich um bio und fair gehandeltes Süßes geht.
Die Markthalle Neun ist eine der drei von 14 verbliebenen Hallen, die in Berlin Ende des 19. Jahrhunderts gebaut wurden. Sie konnten fast alle der Konkurrenz der rasch aufkommenden Kaufhäuser nicht standhalten. Die Marheinekehalle (Nr. XI) hat heute eher das Angebot und die Atmosphäre eines Supermarkts. Einzig die Arminiushalle (Nr. X) besteht ohne wesentliche Unterbrechungen seit ihrer Eröffnung und verbreitet für den Besucher viel Flair, das man ‘altes Berlin’ nennen möchte, auch wenn es schon viel Neues gibt.
Die Landstraßer Markthalle könnte heute genau das für Wien sein.
Was die meisten vor ein paar Jahren noch als altmodisch und überholt abgetan haben, wäre jetzt chic und gesucht, gerade weil die Landstraßer Markthalle alles andere als oberflächlich schön war.
Einen neuen Markt starten, der vom erhofften Zielpublikum angenommen wird, bedarf eines großen persönlichen Einsatzes von Integrationsfiguren, ebenso wie einen alten zu retten.
Aber man darf sich für 2015 ruhig große Hoffnungen machen, wenn man selber zumindest etwas Kleines beiträgt und nicht zu faul zum regelmäßigen Markteinkaufserlebnis ist.
Meiselmarkt: Wien 15, Meiselstrasse / Johnstrasse (U3 Station)
Montag bis Freitag von 6:00 bis 19:30 Uhr, Samstag von 6:00 bis 17:00 Uhr
keine homepage
Arminiusmarkthalle – Berlin Tiergarten Moabit im Bezirk Mitte, U9 Turmstraße http://arminiushalle.zunftnetz.org/
Kernzeiten: Montag bis Freitag: 8:00 Uhr bis 20:00 Uhr, Samstag: 8:00 Uhr bis 18:00 Uhr
Markthalle Neun – Berlin Kreuzberg, Eisenbahnstrasse 42/43, U1 Görlitzerbahnhof http://markthalleneun.de/
Wochenmarkt: Di & Fr 12:00 bis 20:00 Uhr, Sa 10:00 bis 18:00 Uhr