NAPOLI
Wenn man von der Via Colletta in die Via Cesare Serale einbiegt, erkennt man den Eingang der Antica Pizzeria da Michele an der Menschentraube auf der Straße. An der Tür gibt man dem Türsteher bekannt, zu wie vielen man zu essen wünscht und bekommt dafür eine Nummer. Dann mischt man sich unters Wartevolk, dem Anschein nach kennen alle einander, auch die Tourist_innen. Im Schwall von angeregten Gesprächen vergeht die Wartezeit, die selten unter einer Stunde liegen dürfte, hoffentlich schneller als gedacht. Inzwischen in eine Bar zu gehen, um etwas zu trinken, scheint selbst für Einheimische keine Option, da das dunkle, wirklich heruntergekommene Viertel sonst keine Lokale bietet, die man gerne freiwillig betritt. Aber die Neapolitaner_innen lieben ohnehin ganz offensichtlich die Gelegenheit sich vor dem Besuch populärer, volkstümlicher Lokale draußen auf der Strasse zu treffen. Im engen Straßengewirr der Stadt bietet fast kein Lokal die Möglichkeit draußen zu sitzen, und es ist auch nicht besonders geschätzt unter freiem Himmel zu essen, außer beim großen Familienausflug am Sonntagmittag.

Napoli … Foto (c) Mischa Reska – kekinwien.a
Das Hefeteigwesen.
Jetzt ist aber schon unsere Nummer unter den aufgerufenen. Im Lokal werden die kleinen Marmortische flink zusammengestellt oder auseinander geschoben, damit die gewünschte Personenanzahl gemeinsam Platz findet. Die Bestellung ist einfach zu erledigen, zu trinken gibt es Bier, Cola oder Wasser. Bei der Pizza hat man die Wahl zwischen Margarita oder Marinara. Die Pizza in dieser berühmtesten aller neapolitanischen Pizzerien ist wirklich die beste, die ich je gegessen habe, dünner Teig mit sehr viel Biss, knuspriger Rand, Tomaten und Mozzarella – die molligste Umami-Erfüllung, die man sich vorstellen kann.
Als am Nebentisch Amerikaner noch eine zweite Pizza essen wollen, heißt es für heute ist der Ofen aus, denn der Teig ist verbraucht. Der ist ja quasi ein lebendiges Hefe-Wesen, dessen Zubereitung je nach Philosophie ein oder zwei Tage zuvor begonnen werden muss. Und überbleiben darf auch keiner, weil er nicht aufbewahrt werden kann ohne an Qualität zu verlieren.

Disco Volante, Wien, Foto (c) Mischa Reska – kekinwien.at
VIENNA
Strenger Charme!
Wer vergleichbare Stimmung und Qualität in Wien sucht, freut sich, dass Maria Fuchs ihre Liebe zur Pizza in Neapel entdeckt und mit neuem und alten Qualitätsbewusstsein nach Wien gebracht hat.
Die erste Aufregung um ihre Pizza Mari’ 2008 scheint mir aus heutiger Sicht noch unverständlicher, aber man kann die wüsten Kommentare im Onlinestandard nachlesen (keine Empfehlung!). Grund der Erregung war zum einen, dass der Lokalgestaltung jeglicher Kitsch fehlt und zum anderen, dass kein Salat auf der Speisekarte stand. Das sperrig charmante Design, das ganz neapolitanisch ist und sich in vielen liebevollen kleinen Details zeigt, versteht nicht jede und jeder und das führte zu hart ausgetragenen Wortkämpfen.
Heute ist das Lokal nach wie vor sehr gut besucht, aber Schlangen hab ich vor der Tür schon länger keine mehr gesehen. So ganz gehört es doch nicht zur Vorstellung der Wiener_innen von einem netten Abend, also lassen wir die Wartepartys den Neapoletaner_innen und Pariser_innen.

Pizza mit Erklärung, Foto (c) Mischa Reska – kekinwien.a
Pizza Napoli mit Sauce?
Die Pizzeria Disco Volante kam dann im Sommer 2013 dazu. Man sitzt auf den selben Schulsesseln wie in der älteren Schwester Mari´ und die Bänke kommen dem Vernehmen nach aus einer Kirche, dabei ist das zweite Lokal um einiges größer und um vieles lauter.
Als weiteren Unterschied tragen die Kellner_innen in der Mari´ keine Formel1 Rennfahrer Overalls aus den 1970ern (oder doch Design von Maria Fuchs), was den Beinen mancher Kellnerinnen so zugute kommt, dass sie sehr, sehr freundlich lächeln.
Kennzeichen der Disco Volante ist der zentrale kugelrunden Pizzaofen mit Spiegelfliesen, der vielleicht noch schöner ist als all die vielen schönen runden Fliesenöfen in den Gasträumen Neapels. Pizza nicht aus dem Holzofen geht selbstverständlich gar nicht, basta!
Das von den Gästen eingeforderte Chiilöl wurde ihnen von Maria Fuchs irgendwann doch gewährt, so wie der gemischte Salat. In Neapel mag man das halt zur Pizza gar nicht – entspricht ungefähr dem Genuss von Schnitzel mit Sauce. Wenn die Wirtin wie ich in ihrem Lokal beobachten hätte müssen, dass Gäste sich den Essig statt über den Salat über die Pizza schütten, dann hätte sie solche Zugeständnisse sicher wieder abgeschafft.
Meine Empfehlung: besser von den grünen Oliven kosten.

Disco Volante, Foto (c) Mischa Reska – kekinwien.at
Die Lieblingspizza?!
In der Disco Volante gibt es eine Pizza mit dem legendären Rindskamm von der Fleischhauerei Ringel gegenüber. Das entspricht natürlich auch nicht den Regeln der Associazione Verace Pizza Napoletana, findet aber auch unter Pizzakenner_innen allgemeinen Zuspruch. Beim Belag gilt bekanntlich: Weniger ist mehr. Wir denken meist an Tomaten, Käse und eventuell Schinken, es geht aber auch ganz anders.
Ein kurzer Einwurf in eigener Sache: Cara Signora Fuchs, warum kommen ihnen denn nie kleinen Fische auf die Pizza, das wäre doch durchaus im Interpretationsspielraum?
Nun endlich zu meinen allerliebsten, den klassischen neapolitanischen Gemüse-Pizzen.
Seit kurzen findet man die auch anderswo in Wien, aber ich bekenne mich als Fan von Disco & Mari´.
Scarola, ähnlich unserem Endiviensalat, das vielleicht überhaupt traditionellste neapolitanische (gegarte!) Gemüse, kommt mit Prociutto cotto in die Calzone.
Pizza mit Friarelle, wie der Stängelkohl (verwandt mit Broccoli) in Süditalien genannt wird, habe ich in der Disco Volante schon mehrfach genossen – und wie!
Auch die weiße Kartoffelpizza ist keine österreichische Neuerfindung, sondern in Süditalien verbreitet (auf der Disco Volante Standardkarte).
Eine noch: Die mit zuvor auf der Holzkohle gebratener Melanzani!
Tagesangebote beachten!
Wie Pino Mandarano von Slow Food sagt: “Der Pizza geht’s wieder gut!”, und uns auch.

Dessert in der Disco, Foto (c) Mischa Reska – kekinwien.at
Nach-Satz / Speise
Zur Verzückung bringen mich Mari´s und Disco Volantes Dolce. Das beste aus Italien wie Creme caramel oder Panna cotta kommt in kleinen, schlichten Schalen so herrlich konkret und unverspielt auf den Tisch wie leider kaum mehr Nachspeisen serviert werden. Schmeckt köstlich!

Disco Volante, Wien, Foto (c) Mischa Reska
Adressen:
La antica Pizzeria da Michele
Napoli Forcella, Via Cesare Serale 1-3
Tel.:+39 081 5539204
web: damichele.net
Öffnungszeiten: Mo bis Fr 11.00 – ca. 23.00 Uhr
Disco Volante
Gumpendorferstrasse 98, 1060 Wien
Tel.: 0664 1952545
web: www.disco-volante.at
Öffnungszeiten: Mo bis Fr 12 – 24 Uhr, Pizza von 12.00 – 15.00 und 18.00 – 23.00 Uhr; Sa 12.00 – 24.00 Uhr, Pizza bis 23.00 Uhr; So und Fei Pizza bis 22.00 Uhr
Pizza Mari´
Leopoldsgasse 23A, 1020 Wien
Tel.: 0676 6874994
web: www.pizzamari.at
Öffnungszeiten: Di – Fr 12.00 – 24.00 Uhr, Pizza von 12.00 – 15.00 und 18.00 – 23.00 Uhr; Sa 12.00 – 24.00 Uhr, Pizza 12.00 – 23.00 Uhr, So und Fei 12.00 – 23.00 Uhr, Pizza 12.00 – 22.00 Uhr
Super Mari
Mini-Nahversorger mit italienischen Produkten wie vor 20 (?), 30 (?), 40 (?) Jahren.
Sant’Eustacchio Kaffee und diverse Kipferln aus dem Pizzaofen
(Gegenüber der Pizza Mari)
Leopoldsgasse 22, 1020 Wien
Tel.: 0676696970291
web: www.supermari.at
Öffnungszeiten: Di bis Fr 8.30 – 12.30 Uhr und Sa 9.30 – 14.30 Uhr