Wehrlos weht es uns Stadtmenschen immer an dieselben Orte und türmt uns quasi übereinander, in die Naschmarktlokale oder am Samstag vormittags auf den Karmelitermarkt. Dort, wo alle sind, erwarten wir die meiste Action, dort wähnen wir uns sicher vor der Langeweile, die wir fürchten, trotz all der stressigen Hektik.
Wenn alles Party spielt, ist einem dann gar nicht zum Mitfeiern und man gerät gerade im heftigsten Trubel ins Auge des Taifuns – in der gefühlten Leere stellt sich die Frage:
‚Was mache ich hier?‘
Wer lieber aufkeimenden Pflänzchen beim Gedeihen zusieht, als satte Wiesen abzugrasen, könnte ganz bewusst den Marktplatz wechseln und einen Abstecher zum noch recht unbekannten Volkertmarkt machen.
Nur wenige Grätzln verfügen über einen solchen Platz, der als integrierender Ort funktioniert.
Darum lohnt es sich extra anzureisen, auch über Bezirksgrenzen hinweg.
Einen Marktplatz in der Stadt macht aus, dass er geradezu dörfliche Kommunikationsweisen ermöglicht. Man kennt sich und die Geschichten der am Markt Agierenden und ihre ‚Gschichtln‘, das macht das spezielle Flair aus.
Die derzeit beste Geschichte vom Volkertplatz ist, dass Roberto Ignoto ins seit zwei Jahren dort fest verankerte Cafe Nelke kam. Er stellte sich als der neue Betreiber des ums Eck liegenden Feinkoststandes vor – aber eigentlich sei er Koch.
Seither ist die Jonika Lounge geboren, Roberto kocht jeden Donnerstag im Cafe Nelke groß auf. Da ist dann wirklich gute Stimmung, weil die Leute das Essen lieben und sich freuen, dass sie den Weg hierher gefunden haben.
Wenn es draußen zu sitzen geht, auf den zusammengetragenen Stühlen, wo, wenn keiner mehr frei ist, immer noch einer dazugestellt wird, dann ist richtig Sommer.
Bei Roberto Ignotos ‚Jonika – Lebensmittelservice‘ lohnt es, am Stand und der Homepage ausführlich zu schauen, was da für Besonderheiten angeboten werden, vor allem die ‚mafiafreien’ selbstimportierten Produkte aus Süditalien.
Ins Auge stechen die von Roberto mit Liebe gemachten wechselnden kleinen Gemüsegerichte, Risotto, Pasta und Quiche zum Süchtigwerden! Es gibt auch Brot von Kasses (für Dienstag und Freitag mitbestellen!). Der kleine Stand ist eine Perle der schönen Muschel Volkertmarkt!
In der Nelke gibt es verschiedene Frühstücke ‚rund um die Uhr‘, von ‚Ost‘ bis zu ‚Ami-light’, die man auch kreuz und quer kombinieren kann.
Das jeweilige Tagesgericht wird immer sehr geschätzt, wie die Salate und die gefüllten Brote, für die die frische Pitta vom Kebabstand nebenan kommt. Neli Tranculovas und die ganze Nelke hat ein Gefühl für das Echte, Authentische, drum fühlen sich so unterschiedliche Gäste hier spürbar zu Haus.
Nicht unähnlich, aber doch auf ganz andere Weise hat Sanela Dogo ihre Fischinsel ausgerichtet.
So gut und günstig bekommt man in Wien selten Fisch auf den Teller, das Menü immer mit der am Markt schon legendären Fischsuppe. Nebenan schwimmt ab September wieder der Karpfen im Becken und wird, wie es sich für einen richtigen Markt gehört hier auch verkauft, um wohlfeile Euro 5,90 das Kilogramm. Bis dahin gibt es immer frische Meeresfische und Miesmuscheln.
Das Gemüse wird vom Stand des Ehemanns am anderen Marktende bezogen. Der hat noch einen Krauthobel, mit dem man sich das Kraut kleinschneiden lassen kann. Kraut mit Fisch ist übrigens eine sehr empfehlenswerteste Kombination!
Für die, anders als die Dalmatier_innen, nicht gerade mit Fisch aufgewachsenen Österreicher_innen, gibt es auf der Fischinsel auch zahlreiche fischfreie Gerichte. (Mo bis Fr 8:00-18:00 Uhr, Sa 8:00-15:00 Uhr)
Den Kindern aus den umliegenden Schulen ist der Abi-Kebabstand näher, der ‚rennt‘ ebenfalls sehr gut und hat ein Fahrradpizzaservice.
Finka hat in ihrem Cafe-Bäckerei-Stand viele Stammgäste, die besonders das Mittagsmenü schätzen oder den Einkauf zum frühen Frühstück (geöffnet von 7:00-19:00 Uhr). Ganz neu macht sie Burek in verschiedenen Sorten ‚wie die Mama‘ – unbedingt probieren!
Ich bin gespannt, ob nicht bald noch mehr Selbstgebackenes auftaucht.
Wem nach Fleisch und Wurst ist, der geht zu Maric, dem Ableger eines fleischverarbeitenden Betriebs einer burgenlandkroatischen Familie. Fleisch ist ‚was für Männer, so sieht das, denke ich, der Fleischer.
Unbedingt ‚durchtrauen‘ durch die immer anwesende kleine Belagerung an den Stehtischen sollte man sich in den Feinkoststand des freundlich zurückhaltenden Herrn Sümer, der von 10:00 bis 22:00 Uhr Getränke und orientalische Produkte anbietet. Besonders die griechischen Oliven, Schaf- und Ziegen- Frischkäse, sowie Humus sind von besserer Qualität, als man sie sonstwo findet.
Im King-David Imperium bleiben die Juden aus dem heute in Usbekistan liegendem Buchara, die in Wien in den letzten Jahren wieder eine große Gemeinde bilden, dann leider lieber unter sich. Die Entwicklung des Marktes ist vielleicht doch etwas anders gelaufen als von King-David erwartet. Im Augenblick ist, soweit ich das sehen kann, keiner der ‚Samerkand-Stände‘ regelmäßig für Kunden geöffnet.
Weitere größere Veränderungen sind abzusehen, denn es werden in den nächsten Jahren viele Bewohner in die Neubauten am Nordbahnhofgelände einziehen.
Kaum kann man sich mehr vorstellen, dass im Volkertviertel im 18. Jahrhundert das prachtvolle Palais der Grafen Volckhra (Volkert) stand, umgeben von einem weitschweifenden englischen Garten. Der Volkertmarkt wurde 1878 zwischen alten Gemüsegärten illegal gegründet und nachträglich bewilligt.
Das ‚kleine Garteln‘ in den Grünflächen zwischen Pazmaniten- und Lessinggasse wurde vom Stadtgartenamt genehmigt, und die Blumen gedeihen schon prächtig.
Möge der Volkertmarkt immer noch schöner werden, aber ein bisserl verträumt bleiben!
Volkertmarkt
Volkertplatz, 1020 Wien
Roberto Ignoto – Jonika
Volkertmarkt Stand 2-3, 1020 Wien
Tel: 01/2160806 und 0664/2515620
web: http://www.jonikaamvolkertmarkt.com
Öffnungszeiten: Mo bis Fr 7:00-12:30 Uhr, 15:00-18.00 Uhr, Sa bis 13:00
nelke – cafe am markt
Volkertmarkt stand 38-39, 1020 Wien
Tel: 01 / 996 2067
web: http://www.nelke.at
Öffnungszeiten: Mo bis Sa 10:00-22:00 Uhr
Der Volkertmarkt liegt zwischen Taborstraße und Praterstern, die nächsten Tramlinien sind 2 und 5, die Buslinie 5B hat eine Haltestelle direkt am Markt.
Danke für die Informationen an Sissi Schamschula vom ehemahligen Grätzlblattl, der Stadtteilzeitung des Volkert- und Alliertenviertels (das nächste Grätzlblattl kommt bestimmt).