Immer Sommer in der Küche?
Italien liegt vor unserer Haustür und wir kochen gewandt mit Tomaten, Paprika und Melanzani, denn das sind DIE italienischen Gemüse schlechthin. Oder doch nicht?
Nach Venedig fahre ich schon alleine wegen des schönen Lebensmittelmarkts, wegen des ‚Mercato di Rialto‘, unheimlich gerne.
Was ihn am deutlichsten von unseren Märkten unterscheidet, sind natürlich die Fische und Meeresfrüchte.
Meeresgetier, das nicht schon fertig ‚präpariert‘ auf dem Teller liegt, lässt jede_n, der noch nie länger am Meer gelebt hat, ein bisserl fremdeln. ‘Ma is der schiach’, höre ich es inbrünstig aus dem österreichischen Mund beim Anblick eines wunderbaren Drachenkopfs.
Was aber ist das Lieblingsgemüse der Venetianer_innen?
Ich würde sagen die Artischocken – der ‘Carciofo violetto di Sant’Erasmo’ oder einfach ‘Castradure’. Die wachsen einen Gutteil des Jahres auf der venezianischen Gemüseinsel Sant’ Erasmo. Es werden aber auch andere große und kleine, spitze und runde Sorten aus anderen Gegenden Italiens angeboten.
Neben den Marktständen sitzen dann immer auch Männer, die die Böden aus den Artischocken herausschneiden, ‘schnitzen’. Diese werden in Wasser gelegt und so ganz frisch zum Verkauf angeboten. Artischocken sind, obwohl sie zumindest bis zum Herbst auch bei uns reifen würden, für viele von uns Alpenländer_innen immer noch so fremd wie ‚Fischiges‘. Ganz anders als bei unseren italienischen Nachbar_innen, gelten sie als elitäres, schwer zuzubereitendes und schwierig zu essendes Gemüse und werden deshalb auf den Märkten oder gar in den Supermärkten nur wenig angeboten.
Im Frühling: Grün, grün, grün…
Jetzt gerade wächst in Venedig der dünne, grüne Spargel ‘Spareselle’, aber mit heimischen Spargel sind wir zum Glück auch gut versorgt. Und es ist Erbsenzeit: ‚Risi bisi‘ – ein suppiges venezianisches Risottogericht!
Undenkbar ist die Venezianische Küche auch ohne den Radicchio der Sorte ‚Rosso di Treviso Tardivo‘, das typische Herbst- und Wintergemüse. Er wird kaum als Salat roh gegessen, sondern gebraten als Zuspeise, oder kommt in Antipasti, Cicchetti, Lasagne Risotti etc. (Von gebratenem Salat weiter unten noch Überraschendes!).
Wenn die Norditaliener ursprünglich schon keine so großen Tomatenfreunde sind, dann doch sicher die Neapoletaner_innen!?
Ja, die kennen sich aus mit Tomaten – und essen im Winter auch keine frischen.
Nachdem ich mich ordentlich in die Kulinarik der ehemaligen Hauptstadt Italiens eingelesen habe, bin ich mir nicht sicher, welches Gemüse für diese typischer ist: ‚Pomodori‘ oder ‘Scarole’ oder ‘Friarielli’.
Nie gehört, nie gesehen, nie gegessen?
Bei den ‚Friarielli‘ ist das gut möglich, sie sind nur noch in Rom ebenso beliebt, dort heißen sie ‘Broccoletti’. Im Rest Italiens kennt man sie unter ‚Cime di Rapa‘. Wir müssen uns nach einem deutschen Namen in der Schweiz umsehen, dort sind es die ‘Rübspitzen’, die in Österreich leider weitgehend unbekannt sind.
Gefunden habe ich sie bisher nur auf dem Salzburger Schrannenmarkt, auf dem Yppenmarkt und auf einer speziellen Winterpizza in der Pizzeria Disco Volante. Ganz ähnliche, mit dem Broccoli verwandte Gemüsesorten kennt die Chinesische Küche, und wenn man Glück hat, gibt es die in einem der chinesischen Supermärkte an der rechten Wienzeile.
Meiner Meinung nach wurde der bei uns bekannte große Brokkoli Kopf als Ziergewächs gezüchtet und ist versehentlich bei uns in die Gemüseabteilung gewandert, deshalb muss man ihn aber auch nicht gleich Monsanto überlassen. Die Blätter und Stängel der ‘Broccoletti’ mit den kleinen Röschen schmecken unvergleichlich delikater und werden für so gut wie alles verwendet, was man mit Gemüse machen kann. Besonders gelungen finde ich die Kombination, die gerne auf Märkten angeboten wird, ein Panino mit Porcetta und Cima di Rape. Das wäre doch eine Ergänzung für die ‚Schweinebraten-Semmerl‘ von Dottore Porcetta, der halt auch so schon einen totalen ‚run‘ auslöst, wenn er auf einem der Wiener Märkt halt macht.
Die ‚Scarola‘ kenne ich schon seit meiner Kindheit als Endiviensalat und habe schon damals nicht verstanden, was man dem abgewinnen kann. Gerade wurde ich bei einem Neapelbesuch davon überrascht, wie beliebt sie in Süditalien ist.
In Wals bei Salzburg werden die Salatköpfe auf weiten Feldern angebaut und kommen von dort ab Herbst und über den ganzen Winter in großen Mengen auf die Schranne. Gegessen wird ‚der Endivie‘ bei uns roh, mit Essig und Öl. In Italien, wo man im allgemeinen (so wie ich) keine große Freude mit grünem rohem Salat hat, wird er ausschließlich gegart verwendet und das schmeckt sensationell.
Zu finden etwa in der ‘Minestra maritata’ der neapolitanischen Gemüsesuppenvariante, die vorwiegend aus eben gar nicht fadem Blattgemüse besteht. ‚Scarola‘ wird als Beilage kurz gebraten, in fast jedem Fall kommen Kapern dazu. Aber auch eine Mischung aus Oliven, Rosinen, Acciughe und Pinienkerne – was auf die heftig gewürzten, süß-sauren Vorlieben der ‚alten Römer‘ zurückgeht. Scarolagemüse findet sich unter den ‚Contorni‘ auf vielen Speisekarten.
Die älteste neapolitanische Pizza!
Das berühmteste Gericht mit Endivie ist, wie man in Neapel sagt, die ursprünglichste Pizza überhaupt – was uns Tomatenfixierte wundern mag: die ‚Pizza di Sarola‘. Der Teig wird für diese, wie bei der geschichtlich unvergleichlich jüngeren ‘Calzone’, eingeschlagen und nur der gebratener Endivie und eventuell die erwähnten Zutaten dienen als Füllung.
Im Frühling blühen in Neapel vor allem die Zucchiniblüten auf, natürlich auch auf der Pizza oder frittiert, denn das Frittieren ist die liebste Zubereitungsart in Napoli. Historisch ist der Hang zum Braten in tiefem Fett angeblich wirklich noch von den Gewohnheiten aus dem antiken Griechenland herzuleiten. Auch die Pizza wurde und wird frittiert!
Viele, viele Saubohnen sind jetzt auf dem Markt, die einfach aus der Schote genommen und frisch gegessen werden.
Bunte Paprika zieren im Hintergrund auch im Frühling den einen oder anderen neapolitanischen Marktstand. Auberginen habe ich oft in der weiß-violett gesprenkelten Variante gesehen.
Auch hier im Süden nimmt als Saisongemüse an den kleinen Gemüseläden nichts so viel Platz ein wie die verschiedenen Artischockenarten, z.B. die regionale Sorte ‘Carciofo violetto di Castellammare’, eine fast rote Blüte die von Slowfood besonders gefördert wird.
Und dann kommt der Sommer – und endlich die Tomaten! Wie es sich bis zu uns schon herum gesprochen hat, wird die Sorte ‚Marzano‘, eine längliche ‘Eiertomate’, besonders gerne für das ‘Ragú’ und andere lange eingekochte Tomatensaucen verwendet. Roh gegessen oder nur kurz gegart werden vor allem recht kleine Sorten, bei uns als Cocktailtomaten bekannt z.B. der ‘Pomodorino del piennolo del Vesuvio’. Jetzt gesehen habe ich vor allem noch recht grüne kleine Exemplare einer Sorte, die ich als Ochsenherzen identifizieren würde.
Neapel eine Feinschmeckerstadt!
Bei Ochsenherzen will ich nicht vergessen zu erwähnen, dass Neapel ein Paradies für die Liebhaber_innen von Innereien ist. Ich habe noch nie so viele Kuttln in Geschäftsauslagen hängen sehen.
Die Märkte sind natürlich, genauso wie in Norditalien, bestückt mit den schönsten Fischen und Meerestieren.
Vor allem eine ungeahnte Vielfalt an Muscheln und Tintenfischen …
Was es da noch alles zu entdecken gäbe!
keke Buchtipps:
Weinbars in Venedig: Kulinarische Spaziergänge und Originalrezepte
2013, 192 Seiten, von Cornelia Schinharl (Autorin), Beat Koelliker (Fotograf), GU Verlag, ca Euro 20,00
ISBN-13: 978-3833834042
Neapel sehen und genießen: Die neapolitanische Lebensart
2012, 288 Seiten, von Dario Santangelo (Autor), Diego Santangelo (Fotograf), Pichler Verlag
ISBN-13: 978-3854316084