Des Kaisers Mohrenfreund
Das soll übrigens keine rassistische Überschrift sein, aber der historische Roman Keiner von Euch von Felix Mitterer handelt nun mal eben in der Zeit zwischen 1730-1796, in der nur dieses Un-Wort existierte, von der realen historischen Person Angelo Soliman. Soliman wurde in Ostnigeria als Häuptlingssohn geboren, von einem anderen Stamm verschleppt, für ein Pferd bei einem Europäer eingetauscht, nach Sizilien verschenkt, dort dem Grafen Lobowitz weitergereicht und nach Wien verbracht. Dort wurde er zum Mohrendiener ausgebildet und auch in diversen Wissenschaften unterrichtet.
Als Erwachsener war sein gesellschaftlicher Aufstieg nicht mehr aufzuhalten. Er stieg als Kammerdiener und Chef der Dienerschaft in zwei Fürstenhäusern bis zum Freund und Gesellschafter am Hof des liberalen Kaisers Josef II an die Spitze der österreichischen Gesellschaft auf. Als sich das liberale gesellschaftliche Klima nach den frühen Toden von Josef II unter seinem Nachfolger Leopold II wieder änderte, gab es nach dem Tod des frommen Katholiken Soliman einen veritablen Skandal durch eine der fiesesten posthumen Beleidigungen: Soliman wurde die Haut abgezogen, präpariert und bis 1806 dem gaffenden Publikum im kaiserlichen Naturalienkabinett als halbnackter Wilder mit Federn und Muschelkette präsentiert, bis sich die Tochter Solimans, die mittlerweile zur Freifrau aufgestiegen war, durchgesetzt hat und diese Schandtat abstellte.
Ich bin schon vor Jahren auf diese sehr spannende historische Figur aufmerksam geworden, denn seit 2006 wird Soliman in Österreich geehrt. Mit Briefmarken, Straßenbenennungen, Ausstellungen, mehreren Biografien und Analysen in Sachbüchern wird er vielleicht „etwas fragwürdig aber auch selbstironisch ins austriakische Erbe integriert“ (sagt der Kulturjournalist Paul Jandl).
Der bekannte Tiroler Dramatiker Felix Mitterer, einigen von Euch wird er als Autor der Piefke-Saga* wohlbekannt sein, hat sich nun dieses spannenden Lebens angenommen und seinen allerersten Roman als fiktive Historiengeschichte zur Familie der Solimans verfasst. Dabei lässt er die wichtigsten biografischen Eckpfeiler stehen, tauscht mehrere Figuren aus, erfindet Protagonisten und Ereignisse dazu und verwebt recht geschickt historische Fakten und Fiktion zu einer rasanten Story rund um eine große, sehr schwierige gemischtrassige Liebe, fiese politische und gesellschaftliche Intrigen, ein moralisches Sittenbild der Gesellschaft, eine spannende gewalttätige Kriminalgeschichte in höchsten gesellschaftlichen Kreisen, atemberaubende Abenteuer, blanken Rassismus, liberales Gedankengedankengut versus Rückkehr zum Absolutismus aufgeführt und recht konsistent eingebettet in die Zeit und das wechselnde gesellschaftliche Klima während der Amtszeiten von mehreren Habsburger Regenten: Maria Theresia, Josef II, Leopold II und Franz I.
Die Tochter von Soliman flüchtet in der fiktionalen Geschichte aus einem Kloster in Sizilien und rollt auf Suche nach ihren Eltern ein sagenhaftes Komplott in höchsten gesellschaftlichen Kreisen auf, in das der Leibarzt von Maria Theresia, vorübergehender Wissenschaftsbeauftragter und Freimauer, Professor Hoffmann verwickelt ist, der eben unter mehreren kaiserlichen Regenten im Hintergrund höchst intrigant die Fäden zieht und der Familie Soliman unbedingt schaden möchte.
Was mir am besten im Roman gefallen hat, ist der sehr persönlich geschilderte Werdegang von Soliman, der in einer rassistischen Gesellschaft, die ihn diskriminiert, ihn als Fetischobjekt und als Symbol der Aufklärung zu vereinnahmen versucht, das Husarenstück schafft, durch Bildung, Selbstbehauptung und Emanzipation seine Würde zu verteidigen und damit sehr erfolgreich ist.
Am Ende des Romans waren mir dann die fiktionalen Freiheiten, die sich Mitterer gegenüber den historischen Fakten herausgenommen hat, zu viel des Guten und zu dicht gestreut. Gleich dem Baron Münchhausen übertreibt er die fantastischen Wendungen. Da wäre die Freundschaft Solimans zu Mozart, die durchaus möglich sein könnte, die aber in der völlig unlogischen Szene gipfelt, dass Mozart sein Requiem für Soliman geschrieben hat, was komplett unwahrscheinlich ist, denn Mozart ist fünf Jahre vor Soliman gestorben.
Nicht gefallen hat mir auch das von Mitterer und manchen Österreichern sehr gerne bediente falsche Narrativ, dass Josef II ein sehr menschlicher liberaler Regent und Zeitgenosse gewesen sei, ein umsichtiger progressiver Reform-Kaiser, der politisches Talent hatte, ein freundlicher Bruder, der zu seinen Geschwistern, insbesondere Marie Antoinette eine gute Beziehung hatte. All diese bereits widerlegten Mythen dichtet Mitterer seiner falsch konzipierten Lichtgestalt an. Die moderne und ungeschönte Geschichtsforschung abseits des Habsburgerkitsches sagt aber das genaue Gegenteil. Josef half weder Marie Antoinette, obwohl es in seinen Möglichkeiten stand, noch gewährte er seinen eigenen Geschwistern Asyl in Österreich, als sie während der revolutionären Zeiten in arge Kalamitäten gerieten. Im Gegenteil, er betrog sie auch noch um ihr Erbe und unterschlug Gelder, die laut Testament seinen Verwandten zustanden. Auch politisch war er eigentlich nicht begabt, er konnte keine zwei Schritte vorausdenken und war auch gar nicht so liberal, sondern eigentlich nur prinzipiell gegen alles, was seine Mutter und seine Familie verkörperten. Seine revolutionären Visionen waren völlig unrealistisch und nicht durchdacht. Erst sein Bruder Leopold goss diesen Wirrwarr an unausgegorenen Ideen während seiner ganz kurzen Regentschaft in echte Reformen, die dann leider fälschlich seinem Vorgänger angerechnet wurden. (Historische Details könnt Ihr beispielsweise in diesem Buch nachlesen)
Sprachlich und strukturell gibt’s am Autor ohnehin nichts zu kritisieren. Mitterer kann richtig gut schreiben und die eingestreuten Erzählperspektivenwechsel zwischen Josephine Soliman, Clara Soliman, Angelo Soliman und Professor Hoffmann stiften keine Verwirrung, sondern machen den integrierten Krimiplot durch die Rückblenden, die erst allmählich alles offenbaren und die verwickelten Intrigen entwirren, richtig spannend.
Fazit: Auch wenn sich Mitterer historisch etwas vergaloppiert und am Ende des Romans an der Fiktion meiner Meinung nach zu arg gedreht hat (ich bin da etwas pingelig), ist das ein extrem spannender Pageturner in Form einer Historiengeschichte, mit einer wichtigen Botschaft gegen Rassismus, gewürzt mit einer großen Liebe und ein bisschen Krimi. Die Mischung ist wirklich grandios!
*P.S: Der Autor Felix Mitterer möchte 2020 mit einer weiteren Folge der Piefke Saga beginnen und die aktuellen und furchtbaren Ereignisse der realen Causa Ischgl während der Covid-19 Pandemie im Teil 5 verarbeiten. Das ist hier der klassische Fall von Realität überholt jegliche Satire, der Tiroler Turbotourismus ist anno 2020 so entartet, dass man sich so etwas gar nicht ausdenken kann.