Postdemokratische Variationen im Salon5, Foto © Salon5

Die vier namenlosen Personen, allesamt BürgerInnen ohne klar manifestierbarer Schichtzugehörigkeit, eröffnen Jérôme Junods Uraufführung Postdemokratische Variationen am 13.2.2013 im Salon5 in einem Stimmen-Wirr-Warr.
Ein erster gemeinsam gesprochener Satz begrüßt das Publikum: „Willkommen in der Zukunft!“. Und siehe da, auch in der „Stadt der Zukunft“, so der Titel des ersten Kapitels, sind wir (soll heißen: aufgeklärte euro-zentristische WählerInnen) immer noch dort, wo uns das Stück heute schon verortet: In einem unüberschaubaren Durcheinander an Stimmen und Meinungen, in dem klar ist, dass etwas gegen bzw. für das demokratische System „gemacht“ werden muss („machen, machen, machen!“ dröhnen die vier Personen), doch unklar ist, was das sein soll. „Schimpfe, schimpfe, schimpfe!“ brüllen die vier Hauptfiguren kurz darauf – es ist nicht ‚mal klar, wogegen da eigentlich geschimpft wird. Die Unklarheit, worüber debattiert, was kritisiert, wovon geschwärmt und wogegen rebelliert wird, zieht sich als Konzept durch diese „Suite für vier Stimmen und Körper“. Die Sprache, mit der wir oft verzweifelt versuchen Position zu beziehen (selbst wenn wir keine Meinung haben), ist der eigentliche Protagonist dieser Variationen.

Der Salon 5 in der Fünfhausgasse 5 erweist sich einmal mehr als Ort, in dem zeitgenössische Texte spannender DramatikerInnen zur Aufführung kommen.
Als „Beitrag zum Wahl- und Abstimmungsjahr 2013“ sehen die VeranstalterInnen Junods Inszenierung seines eigenen Textes. Spannend ist, dass sich das Stück jedoch nicht in der Kritik postdemokratischer Prozesse erschöpft, sondern die Partizipation in verschiedenen Formen an sich im Mittelpunkt steht. In der globalisierten und mediendominierten Welt von heute muss man stets zu allem eine Meinung haben – selbst wenn man nicht weiß, wovon eigentlich die Rede ist. Ganz besonders macht dies das dritte Kapittel klar, in dem ein Wiener Wutbürger seine mit Maggi mehrmals nachgewürzte Suppe löffelt und gegen die „Oaschlöcher“ schimpft, die „goa net wolln, dass es besser wird.“ Wer sind die Oaschlöcher? Was soll besser werden? Die ZuschauerInnen dürfen ergänzen. Später gesellen sich die anderen SchauspielerInnen dazu und stimmen im vierten Kapitel einen Kanon an, in dem aus vier Worten eine Melodie gebildet wird: „Armut, Verfall, Korruption, Misere“ wiederholen sie immer und immer wieder. Viel konkreter wird die Kritik der hier zu Wort kommenden Menschen auch nicht.

„Wir haben keine Wahl, also wählen wir wie Wahnsinnige!“ lautet ein zentraler und über-skeptischer Satz, der das Thema der „Postdemokratischen Variationen“ eigentlich schon auf den Punkt bringt. Junods Stück sieht nicht viel Hoffnung für die heutigen postdemokratischen Prozesse, in denen die BürgerInnen die Entscheidungsträger an die Macht bringen, diese sich jedoch dann dem Willen des globalen Marktes unterwerfen.
Am Ende bleiben wir (also abermals: wir, die aufgeklärten euro-zentristische WählerInnen) laute Stimmen, die sich in der Artikulation ihrer Beschwerden und Wünsche ausbremsen und erschöpfen.
Und trotz bzw. vielleicht auf Grund all der Skepsis darf dieser Abend im Salon 5 mehr als nur empfohlen werden. Das sensationelle Schauspiel-Ensemble um Robert Finster, Petra Staduan, Martin Schwanda und Doina Weber sorgen für einen kurzweiligen Abend. Die einzelnen Aufführungen weden mit anschließenden Salon-Talks geschmückt, bei der mit Gästen aus Politik und Wissenschaft geplaudert werden kann. Gut so: Denn von politischer Sprachlosigkeit hat man ja das Stück hindurch genug gehört.

 

 

Postdemokratische Variationen

Salon5 im Brick-5
Fünfhausgasse 5, 1150 Wien
Tel.: 0676 / 562 55 02
E-mail: willkommen@salon5.at
website: www.salon5.at

Mit: Robert Finster, Petra Staduan, Martin Schwanda, Doina Weber
Kostüme und Raum: Lydia Hofmann
Text und Regie: Jérôme Junod
Bühnenrechte: Thomas Sessler Verlag Wien

Termine: 13./ 14./ 15./ 19./ 20./ 21.03.2013, 19.30 Uhr
Kartenpreise: EUR 20 / EUR 10 (ermäßigt)

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